Krise in Syrien beschert dem Westen unangenehme Bettgenossen

Übersetzung des Artikels
Syria’s crisis is leading us to unlikely bedfellows
von Peter Oborne
erschienen am 18. Februar 2012 im britischen Telegraph

Es besteht die Gefahr, daß David Cameron und William Hague eine gefährliche und komplexe Situation unterschätzen.

Als kurz vor Weihnachten fast fünfzig Menschen von zwei Autobomben im Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus getötet wurden, zögerten wir im Westen nicht die Angaben des staatlichen Fernsehens anzuzweifeln, wonach diese Gräueltaten von al-Qaida begangen wurden. Wir konnten der Versuchung nicht widerstehen, den syrischen Rebellen mehr Glaubwürdigkeit zuzubilligen, die komplett bestritten, daß diese Terrorgruppe in irgendeiner Weise involviert sei, und darauf bestanden, daß die Angriffe von der Regierung in zynischer Weise inszeniert worden seien, um im Ausland Sympathiepunkte zu sammeln.

Bombenanschlag in Damaskus, Bergung eines Toten

Bombenanschlag in Damaskus, Bergung eines Toten

Die Zweifler verstummten dann aber, nachdem James Clapper, der Direktor für Nationale Nachrichtendienste, den Kontrollausschuß des US-Senats für das Verteidigungsministerium vergangene Woche darüber informiert hatte, daß die Bombenanschläge in Damaskus „alle Anzeichen von al-Qaida-Anschlägen tragen“. „Wir glauben, daß al-Qaida seinen Einflußbereich derzeit vom Irak nach Syrien ausweitet„, fügte Herr Clapper hinzu. Somit ist es offiziell.  Al-Qaida wird von Großbritannien und Amerika als Alliierter in unserem Bestreben zum Sturz der syrischen Regierung anerkannt.

Das sollte zu Denken geben. Vor zehn Jahren, nach der Zerstörung des Welthandelszentrums, fielen wir in Afghanistan ein, um al-Qaida zu eleminieren. Jetzt schickt sich die weltweit schlimmste Terrororganisation an, der „Koalition der Willigen“ in Syrien beizutreten (nicht nur al-Qaida: gestern veranstaltete die muslimische Gruppe Hizb ut-Tahrir eine Demonstration durch den Westen Londons zur Unterstützung ihrer syrischen Brüder und der Errichtung eines Kalifats-Staates).

Das ist wohl die weitreichendste weltpolitische Wende seit der Hitler-Stalin-Pakt 1939 die vormals erbitterten Feinde Sowjetrussland und Nazideutschland zu Alliierten machte — dabei ist wichtig zu verstehen, daß die Interessensüberschneidung zwischen al-Qaida und dem Westen weit über die Grenzen Syriens hinausgeht. Großbritannien, die USA und al-Qaida empfinden eine strukturell tiefe Feindschaft gegenüber dem Iran, dem größten Förderer Präsident Assads.

Wie al-Qaida sind wir an einer Schwächung der Hamas in Gaza und der Hibollah im Libanon interessiert. David Cameron und Nicolas Sarkozy legten ihr Gewicht in die Waagschale, um die Regierung Gaddafis zu zerstören und sie mit einem neuen Regime zu ersetzen, das Berichten zufolge Personen mit Verbindungen zu al-Qaida umfaßt. Wir und diese Terrorgruppe empfinden mittlerweile die selbe Feindschaft zum irakischen Premierminister Nuri al-Maliki, und das aus den selben Gründen: wir sind uns einig, daß er Anweisungen aus Teheran erhält.

Freilich bleibt es dabei, daß wir unterschiedliche Methoden und entgegengesetze Ideale haben. Unsere kurzfristigen Ziele sind aber verstörend gleich. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, daß Großbritannien und Amerika nennenswerte direkte Beziehungen mit al-Qaida haben, bei unseren Alliierten mag das der Fall sein.

Lassen Sie uns für einen Moment die schreiendste Verlogenheit der amerikanischen Außenpolitik betrachten: die unterschiedliche Behandlung von Saudi-Arabien und Pakistan. Washington wird nicht müde sich über die Verbindungen zwischen dem pakistanischen Geheimdienst und den Taliban zu beklagen. Wir haben aber noch nie auch nur den leisesten Anflug von Bedenken über die Verbindungen zwischen dem saudischen Geheimdienst und den salafistischen Bewegungen im Mittleren Osten gehört, deren bekanntester Abkömmling al-Qaida ist.

Seit Monaten gab es Gerüchte, daß al-Qaida und andere sunnitische Kämpfer über den Libanon und die Türkei nach Syrien eindringen. Viele dieser eingedrungenen extremistischen Sunniten hatten davor an der Seite von al-Qaida im Irak gekämpft, bis sie von dort vertrieben wurden und Zuflucht im Libanon fanden. Es ist wahrscheinlich, daß sie wegen saudischer Interessen mit Geld und Waffen unterstützt werden, und es ist nicht vorstellbar, daß sie ohne Wissen und vielleicht auch der Unterstützung des saudischen Geheimdienstes agieren können.

Was führte al-Qaida da hinein? Die Antwort ist der Arabische Frühling. Die Revolutionen in Libyen und Tunesien begannen sicherlich als allgemeiner Aufstand; viele der Rebellen in Syrien kämpfen und sterben für Menschenrechte und Demokratie. Doch im Laufe der Zeit kamen andere Zielstellungen ins Spiel und andere Interessen wollen sich behaupten. Die Implikationen für den Staat Saudi-Arabien zeigen wie schwierig die Situation mittlerweile geworden ist. Nie würde die das Wüstenkönigreich regierende Gerontokratie wird einer Opposition im eigenen Land irgendein Existenzrecht zubilligen. Saudische Truppen marschierten sogar nach Bahrein ein, um dort die Demokratiebewegung zu ersticken. Die Rebelen in Libyen wurden von den Saudis aber unterstützt und sie sollen auch an der Destabilisierung Präsident Assads beteiligt sein.

Diese zutiefst reaktionäre Monarchie ist weiterhin der engste Verbündete Großbritanniens und Amerikas im Mittleren Osten. Als sich der Arabische Frühling entfaltete, haben wir die Saudis zu einer provisorischen Allianz zu schmieden, die Katar, Jordanien, die Israelis und al-Qaida umfaßt sowie scheinbar Elemente der Moslembruderschaft, die das Regime Assads aus historischen Gründen unbedingt loswerden wollen, angesichts der brutalen Niederschlagung des von der Moslembruderschaft inspirierten Aufstandes in Hama vor dreißig Jahren. Alle Partner dieser Allianz würden einer Ersetzung des schiitisch-alawitischen Regimes in Syrien durch irgendeine Herrschaftsform der sunnitischen Mehrheit zustimmen. Großbritannien und Amerika hoffen auf etwas Demokratisches; al-Qaida und ihre saudischen Alliierten haben zweifellos etwas anderes im Sinn. Auf der gegenüberliegenden Seite rangieren der Iran, Syrien, die Hizbollah, Hamas und al-Malikis irakische Regierung. Im Irak fühlen sich viele der „Söhne des Irak“ (die von den USA vor sechs Jahren geschaffene Miliz zur Bekämpfung von al-Qaida) hintergangen und sollen sich wieder mit ihren sunnitischen Brüdern verbündet haben.

Die Situation könnte kaum gefährlicher und komplexer sein. Trotzdem redet David Cameron in seinen öffentlichen Ansprachen zum Konflikt in Syrien von einem Kampf zwischen einem illegitimen und autokratischen Regime, das Krieg gegen etwas führt, was er gerne „das Volk“ nennt. Er ist entweder schlecht beraten oder er ist gefährlich nahe daran die britische Öffentlichkeit bewußt zu täuschen. Die Situation ist nämlich weitaus komplizierter als er zugibt. Es ist schon alles andere als offensichtlich, daß die Mehrzahl der Syrer gegen Assads Regime ist. Russland rechnet, daß wohl zwei Drittel der Syrer ihn weitestgehend unterstützen, und es sei an der Stelle daran erinnert, daß Russland im Vorlauf des Krieges gegen den Irak bessere Informationsquellen besaß, als Großbritannien und die USA.

Parade britischer Soldaten nach dem Abzug aus dem Irak (London, Dezember 2011)

Parade britischer Soldaten nach dem Abzug aus dem Irak (London, Dezember 2011)

Die Außenpolitik ist wohl der Bereich, in dem David Camerons Regierung New Labour am genauesten kopiert hat. Herr Cameron hat mit Tony Blair die sklavische Gefolgschaft gegenüber den außenpolitischen Zielen Amerikas gemeinsam, besonders im Mittleren Osten. So wie Herr Blair vereinfacht er bereitwillig unabsehbare außenpolitische Entscheidungen und ist ein Freund von Abenteuern in Übersee. In Syrien dürfte die britische Rhetorik Erwartungen innerhalb der Opposition wecken, die wir nie erfüllen können.

Unterdessen gibt es in Libyen Anzeichen, daß die anglo-französische Intervention vom Jahr davor in die falsche Richtung läuft. Der Sturz von Gaddafis Regime hat zu keinem Ende des Blutvergießens geführt. Die Kämpfe scheinen sich zu verschlimmern, das Land zerfällt in einander feindliche bewaffnete Fraktionen — aus unserem vormaligen Partner im Krieg gegen den Terror ist eine Brutstätte für al-Qaida geworden. Ich kann nur hoffen, daß der Premierminister und sein Außenminister William Hague wissen was sie tun, wenn sie zulassen, daß Großbritannien immer weiter in noch eine Intervention im Mittleren Osten gezogen werden. Anhand ihrer öffentlichen Äußerungen scheinen sie jedoch ein Spiel zu spielen, dessen Regeln ihnen nur zum Teil bekannt sind.

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3 Kommentare - “Krise in Syrien beschert dem Westen unangenehme Bettgenossen”

  1. Joe Says:

    Scheinbar haben die „Großen“ vergessen, daß wir alle auf ein und demselben Planeten leben…


  2. Das hätte man sich aber auch denken können, oder? Letztendlich geht es eh immer nur um die eigenen politischen Interessen, da kann auch mal ein Feind schnell zu einem Freund werden.

  3. Mabank Says:

    Junge, das wird langsam aber unübersichtlich. Wenn morgen der 3. Weltkrieg ausbricht, hab ich keine Ahnung auf wen ich eigentlich schiessen soll.


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