Israel kümmert sich mehr um „Hasbara“ als um seine Politik

Übersetzung des Artikels
Israel is more focused on ‚hasbara‘ than it is on policy
von Anshel Pfeffer
erschienen am 2. März 2012 in der Haaretz

„Hasbara“, ein Akt des Bekennens oder Erklärens, ist zur Ausrede dafür geworden sich nicht ernsthaft mit den echten Problemen Israels zu befassen, und zu einem Politikersatz.

Hasbara

Hasbara ist eines derjenigen bekloppten israelischen Wörter, die sich gegen eine Übersetzung sträuben. Ich sage israelisch, denn der hebräische Begriff läßt sich übersetzen — hasbara ist einfach ein Akt des Bekennens oder Erklärens. Nur ist seine Bedeutung im Kontext der israelischen Politik und Diplomatie weitaus komplexer.

Einige würden sagen, daß Hasbara ein „weichgespültes Wort“ ist — diesen Begriff verwendet David Grossmann in seinem Buch „The Yellow Wind“ zur Umschreibung unverfänglicher Wörter, die von Israelis zum Übertünchen unangenehmer Wahrheiten verwendet werden — und daß die eigentliche Bedeutung von Hasbara Propaganda wäre. Diese Gleichsetzung geht am Wesentlichen aber völlig vorbei. Hat man es bei Propaganda stets mit einer Mischung aus Halbwahrheiten, Erfindungen und handfesten Lügen zu tun, geht es bei Hasbara im Allgemeinen um eine hochgradig selektive Zusammenstellung wirklicher Tatsachen.
Und auch wenn es einige gibt, die so verblendet sind, daß sie ihre eigene Propaganda glauben, die meisten Propagandisten wissen, daß sie lügen. Wer Hasbara praktiziert — die masbiranim — sind vollkommen von der Richtigkeit ihrer Argumente überzeugt. Hasbara ist somit einer Grundsätze des Zionismus des 21. Jahrhunderts, ein regelrechter Glaubensakt. Es ist nur leider ein völliger Trugschluß.

Die Hasbara-Gläubigen sind sich sicher, daß, wenn Israel nur den richtigen Weg zur Darlegung der Erklärungen fände und die Israelis tapfer genug wären der Welt ihre Sache zu erklären, alle wohlmeinenden Journalisten, Politiker und gewöhnlichen Bürger — sofern sie nicht vom Antisemitismus angesteckt sind — zustimmen müßten, daß der jüdische Staat ein Leuchtfeuer unter den Nationen ist. So drängt es Israel und seine Unterstützer in Fernsehstudios und Zeitungsredaktionen, in die Blogospähre und zu Twitter-Versen, zur Verbreitung des guten Wortes, zum Angriff auf diejenigen, die Gift verbreiten, zum Gegenbeweis und zur Ausrottng von Ungenauigkeit und Verleumdung.

Das Problem ist nur, daß trotz des vielen vom israelischen Staat und jüdischen Philanthropen für die Hasbara-Industrie ausgegebene Geld mit ihrem Heer von berufsmäßigen Sprechern, Ministern für öffentliche Angelegenheiten, Delegationen von Amateur-Masbiranim an Kampussen, auf Webseiten und Blogs, und die Israel-Projekte, Kampagnen für Genauigkeit und Kommunikation und Forschungsstellen — nichts von alledem funktioniert hat.

Die Grundhaltung der westlichen Medien wurde nicht nachsichtiger oder freundlicher gegenüber Israel — wohl eher das Gegenteil. Und selbst wenn die Budgets verzehnfacht würden und eine Universität zur Ausbildung ganzer Batallione von Hasbara-Kriegern geschaffen würde, es wird nicht funktionieren.

Trotzdem wurde Hasbara in den vergangen Jahren zur neuen jüdischen Religion und zur Messlatte für alle israelischen Taten und Ereignisse. Die Tatsache, daß sie in Benjamin Netanjahu den absoluten Hasbara-Großmeister erkennen, ist für viele Israelis und Juden weltweit Grund genug, daß er in Israel der Premierminister ist.

Kommende Woche, bei der jährlichen AIPAC-Konferenz, werden sie zu Tausenden seiner mitreißenden selbstgeschriebnene Rede zujubeln, die er in fehlerlosem Englisch vorträgt.  Aber würde irgendwer der dort versammelten jüdischen Größen einen Spezialisten für Öffentlichkeitsarbeit zum Geschäftsführer ihrer Firma machen, und wenn er noch so Wunder in dieser Disziplin vollbringt?

Wie jede Religion baut Hasbara auf einer Anzahl von Mythen auf. Hier sind drei davon:

Die Leute interssieren sich für Tatsachen. Sie müssen nur in einer ansprechenden Weise präsentiert werden und sie werden überzeugen. Die große Mehrzahl der Leute interessiert sich nicht für einzelne Tatsachen — sie ziehen Geschichten vor. Tatsachen und Zahlen sind nett und interessant, bis zu einem gewissen Umfang, sie werden auch aufgegriffen, wenn sie einen Erzählstrang stützen. Die Anzahl der von Gaza nach Sderot abgeschossenen Raketen, eine auf Hasbara-Webseiten beliebte fragwürdige Tatsache, ändert nichts an der klassischen Underdog-Story vom mächtigen und erfolgreichen Israel, das das arme belagerte Gaza umschließt. Genozidale Zitate aus dem Schwur der Hamas können auch nie mit den Bildern leidender palästinensischer Kinder konkurrieren.

Man sollte von der Presse auch keine Besserung erwarten. Medien leben davon, daß sie den Leuten das geben was sie am meisten haben wollen: einfache, leicht zu verdauende Geschichten, also unkomplizierte Narrative.

Das beherzte, geniale Israel war eine gute Story solange es eine junge und arme Nation war, die unglaublichen Schwierigkeiten ausgesetzt war. Ein vergleichsweise reiches Land mit einer der stärksten Armeen in der Welt tut sich da um einiges schwerer in den liberalen westlichen Medien in die Rolle des Gutewichts zu schlüpfen — keine Statistik kann das ändern. Ich denke, es gibt auch wenig Israelis, die ihre Sicherheit und ihre Lebensqualität gegen bessere Kritiken im britischen Guardian eintauschen würden.

Israel hat recht, selbst wenn es unrecht hat. Die Hasbara-Vertreter streiten nicht ab, daß israelische Soldaten gelegentlich Verbrechen begehen oder daß es Probleme in der isrealischen Gesellschaft gibt. Sie sind grundsätzlich für eine offene Debatte über die Politik Israels, sie haben nur leider eine Bunkermentalität. Jede israelische Verirrung wird zu einem „faulen Apfel“ erklärt, der für die Gesellschaft nicht repräsentativ ist.

Es ist schwer sie rügen — Israel wir ungerecht kritisiert, unverhältnismäßig behandelt, unerfüllbare Maßstäbe werden von ausländischen Medien angelegt. Die Sinnhaftigkeit dieser Entgegnungen kann hier kaum behandelt werden, aber diese kräftige Hasbara-Entgegnung ist Selbstbetrug und wird die Haltung der Medien nie ändern können. So bleibt die Tatsache, daß Israel unglaubliche Herausforderungen bevorstehen und noch einiges zu tun hat, bevor es die Gründungsprinzipien umsetzt, in denen nach höheren Standards als in jedem anderen Land der Region gestrebt wird und das trägt Israel die Verantwortung auf nach diesen zu leben. Hasbara ist eine verschwenderische Abzweigung von Resourcen und lenkt die Aufmerksamkeit von dieser Verantwortung ab.

Die Medien sind allmächtig, die Schlacht um deren tägliches Programm ist entscheidend. Nach all dieses Weinen über die schlechte Behandlung Israels in den Medien würde man meinen das Land sei isoliert und von der Zivilisation abgeschnitten. Doch die realen Tatsachen beweisen das Gegenteil — umso mehr Israel in den Medien angeprangert wurde, destho mehr hat sich die internationale Situation verbessert. In den letzten Jahren wurde Israel in die OEZD aufgenommen, sein Kredit-Ranking kam langsam nach oben, während das vieler anderer westlicher Wirtschaften nach unten ging, der Tourismus boomt, Technologie-Giganten eröffnen Forschungszentren bei uns und die neuen Märkte im Osten öffnen sich für israelische Produkte. Auch ist es  nicht nur die amerikanische Regierung, die Israel weiter bevorzugt. Die Anzahl der ausländischen Regierungen die bereitwillig wirtschaftliche, technologische und kulturelle Abkommen mit Israel abschließen ist sprunghaft gewachsen.

Trotz des Erfolgs der BDS-Bewegung („Boykott, Desinvestment und Sanktionen„) einige Musiker zu überzeugen, daß sie ihre Konzerte in Israel absagen, und eines on-off-Boykotts israelischer Universitäten durch die britische Akademiker-Gewerkschaft kommen hochdotierte Künstler in bislang nicht vorstellbarer Anzahl und das hohe hiesige akademische Niveau wird mit den meisten Preisen bedacht. Wir mögen als Journalisten einflußreich sein und manchmal gelingt es uns auch die Tagespolitik zu beeinflussen, aber es gibt so viele andere Faktoren, von denen Außenpolitik und wirtschaftliche Beziehungen bestimmt werden.

Das sind einige der Mythen, die die falsche Religion des Hasbara untermauern. Hasbara ist aber nicht nur eine Verschwendung kostbarer Zeit und Ressourcen. Hasbara ist auch zur Ausrede geworden sich nicht ernsthaft mit Israels echten Problemen zu befassen. Es ist ein Ersatz für Politikgestaltung. Die Konzentration auf Hasbara ist für Israel zu einer Bedrohung geworden, weil es dazu dient von der Auseinandersetzung mit anderen Bedrohungen ablenkt.

Um einen anderen bekloppten Israelismus zu verwenden: Hasbara ist eine chaltura, eine amateurhafte Zerstreung, eine schlechte Ausrede für echte Arbeit. Staatsmännisches Handeln ist das, was Israel braucht.

Explore posts in the same categories: Israel, Kulturkritik

3 Kommentare - “Israel kümmert sich mehr um „Hasbara“ als um seine Politik”

  1. Tourix Says:

    Dazu passt das Schreiben des Juden, der sich kürzlich selbst verbrannt hatte (noch lebt er).
    Ein Kommentator hat in einem Artikel im Spiegel große Teile davon wiedergegeben (Kommentar Nr. 5, von „Ernst August“):
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/protest-gegen-netanjahu-in-israel-selbstverbrennung-in-tel-aviv-a-844450.html
    Einiges davon ist hochinteressant. Unter anderem:
    „Da sind auf der einen Seite die 750000 Orthodoxen die in einer Parallelwelt leben und im Grunde nur Geld kosten und auf der anderen Seite wird Israel wirtschaftlich von ca. 18 Großfamilien beherrscht denen Israel im Grunde egal ist und die weltweite Interessen haben und die nehmen was sie kriegen können.“
    Das mit den Orthodoxen ist nichts neues, aber dass die Macht nur bei 18 Großfamilien liegt ist mir neu und ich halte das für bedenklich, wenngleich es einiges erklären kann.

    In einem anderen Blog machte ich mal eine kritische Andeutung zu den Orthodoxen. Das zog gleich eine unglaublich lange und zum Teil ziemlich dumme Diskussion nach sich. Mit solchen Leuten kann man nicht sinnvoll Diskutieren. Da werden Details aus dem Zusammenhang gerissen, mit anderen Bemerkungen vermengt und somit völlig umgedeutet, Hinweise und Korrekturen dazu werden ignoriert, alle Belege werden diskreditiert und so weiter.
    Und gleichzeitig macht man natürlich einen auf Hochintelligent, gebildet und intellektuell.

  2. Tourix Says:

    Nein, das stand tatsächlich nicht in dem Brief, aber eben im Kommentar desjenigen, der auch die paar Zeilen von dem Selbstmörder zitiert hatte.


Hinterlasse einen Kommentar