Schlußfolgerung von Gregor Benewitsch
Übersetzung von
The Jewish Question In The Russian Orthodox Church
von Gregor Benewitsch
Schlußfolgerung
Zum Abschluß dieser Diskussion will ich meine letzte Frage aufwerfen: Antisemitismus, gibt es das? Auf den ersten Blick erscheint diese Frage zumindest seltsam, wenn nicht gar absurd. Ist Antisemitismus nicht eine alltägliche Tatsache? Er existiert nicht nur, er ist auch weit verbreitet. Weit verbreitet ist jedoch nicht Antisemitismus, wenn wir Antisemitismus als Hass gegenüber den Juden verstehen. Uns ist eine andere Form dieses Hasses bekannt. Eine davon ist der Hass gegenüber Juden als der „auserwählten Nation“ von Seiten einiger anderer Nationen, die auserwählt zu sein behaupten. Das war der Hass der Nazi-Deutschen. Dieser Antisemitismus ist jedoch kein reiner Antisemitismus. Oder er ist vielmehr überhaupt kein Antisemitismus. Die Juden wurden von den Nazis nicht als Rasse gehaßt, sondern genau deshalb, weil die Nazis dachten, daß die Juden ein Hindernis zu ihrer eigene Auserwähltheit darstellen. Die Nazis hassten die Juden somit nicht als Rasse (ein Volk mit diesen und jenen biologischen und physiologischen Eigenschaften), sondern als eine Nation, die nach ihrer Sichtweise die Verkörperung einer gewissen Idee darstellen. Die Nazis scheiterten also an der Unterscheidung zwischen den Juden als Rasse und der jüdischen Nation. Tatsächlich waren sie keine Rassisten, sie waren Nazis, was bedeutet, daß sie sich aus ihrer eigenen Nation einen Götzen machten. Ja, sie sprachen über die arische Rasse als Gegensatz zu anderen Rassen, besonders der jüdischen. Ihre Ideologie basierte jedoch auf dem Nationalsozialismus. Sie versuchten Rasse von Nation zu trennen und scheiterten daran.
Es gibt jedoch eine andere Art von Antisemitismus, den sogenannten christlichen Antisemitismus. Er besteht im Hass gegenüber den Juden als dem Volk, das daran scheiterte Christus anzunehmen und Ihn kreuzigten. Anders gesagt werden in diesem Fall die Juden gehasst auf der Grundlage einer negativen Haltung ihrem religiösen Glauben gegenüber. Hier ist es aber wiederum kein Hass den Juden gegenüber als Rasse, sondern die Rasse in einer gedanklichen Verquickung der sogenannten Antisemiten mit irgendetwas Religiösem.
Lassen Sie mich noch eine weitere Art des „Antisemitismus“ erörtern, nämlich den Hass gegenüber den Juden als einer Rasse gegenüber, die sich gegen die ganze Welt verschworen hat. Wir begegnen hier wiederum dem Fehler der Unterscheidung der Rasse mit einer Idee.
Schließlich gibt es eine Art von primitivem Antisemitismus, wenn die Juden gehasst werden auf der Grundlage eines angeblich durchtriebenen Verhaltens, von Habgier, Schmarotzertum und so weiter. Wer die Juden auf dieser Grundlage haßt, scheitert auch an der Unterscheidung der Rasse von den kulturellen und psychologischen Ideen und Arten. Es gibt eine Idee von Habgier oder von, sagen wir, Schmarotzertum in den Köpfen der Judenhasser, und sie verbinden diese Vorstellung mit dieser Rasse. Niemand kann eine Rasse als solcher hassen, ohne irgendeine Idee auf die Rasse zu projizieren.
Von meiner obigen Analyse ausgehend scheint es so, daß reiner Antisemitismus unmöglich ist. Ja, er ist unmöglich, wenn wir Antisemitismus als Hass gegenüber den Juden definieren. Und doch gibt es noch einen weiteren Weg ein Antisemit zu sein: den Juden die Existenz nicht physisch abzusprechen, sondern theoretisch (wiewohl keine Theorie in sich endet, die Theorie sucht nach ihrer praktischen Umsetzung). Was ich meine, ist vor allem die Ideen von Marx. Es war kein anderer als Marx, der, im Hass auf sein eigenes Blut, vom Verschwinden der jüdischen Nation träumte, von ihrer vollständigen Emanzipation (siehe seinen Artikel „Zur Judenfrage“ in „Deutsch- Französische Jahrbücher“ und in einem Kapitel zur jüdischen Frage in „Die heilige Familie„). Marx dachte, daß in der modernen säkularen Welt, in der die Juden nicht mehr an Gott glauben, der einzige Grund für die Existenz dieser Nation als solcher der Kapitalismus sei (Geld, das zum neuen Gott für die Juden wurde). Damit ist diese Nation gänzlich überflüssig. Die jüdische Frage kann durch eine Abschaffung des Kapitalismus gelöst werden. Die Juden als Volk werden einfach verschwinden. Doch sogar der Antisemitismus von Marx ist nicht die letzte Art von Antisemitismus, nicht der reine. Marx dachte immer noch, daß es einen Grund für die Existenz dieses Volkes in der Vergangenheit gibt, daß es einen Grund für seine Existenz in der Gegenwart gibt, wenn auch keinen Grund für seine Existenz in der Zukunft.
Es gibt noch eine weitere Art Antisemit zu sein: zu bestreiten, daß Juden wirklich existieren. Dieser Antisemitismus ist einzig reine, weil „Antisemitismus“ in seiner Substanz die Negation der Semiten (d.h. der Juden) bedeutet. Wer Juden hasst oder sein eigenes Blut (in der Vergangenheit), der erkennt wenigstens an, daß sie existieren. Manchmal, wie im Falle der Nazis, möchten sie die Juden ihres Seins berauben. Die Nazis (und sogar Marx) erkannten die Existenz der Juden von Anbeginn an. Außerdem stellen sie diese Existenz so ernst wie möglich in Rechnung.
Echte Antisemiten, reine Antisemiten, sind diejenigen, die die Existenz der Juden betreiten. Was für eine seltsame Idee, mag man sagen! Wer könnte bestreiten, daß die Juden existieren?! Was für eine absurde Idee! Ja, diese Idee ist seltsam. Ungeachtet dessen kann sie logisch gesehen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Eine solche Idee über die Juden ist möglich. Außerdem, wenn jemand Hass gegenüber den Juden empfindet oder wenn jemand, der selbst Jude ist, fühlt, daß man gehasst wird, dann mag man, um diesen Hass (das Lehren anderer oder sich selbst wie man über solche Sachen wie Rasse denken solle) loszuwerden eine raffinierte Idee vorschlagen: es gibt gar nichts wie eine „Rasse“ oder „Nationalität“ oder, sagen wir, ein „Geschlecht“. Nur Personen oder Individuen existieren. Solche Personen mögen unterschiedliche Eigenschaften haben, bestimmte Eigenheiten, die sie charakterisieren. Weiterhin kann einer hinzufügen: Es ist genau die Idee von der Existenz einer jüdischen Rasse, die eine Quelle des Antisemitismus ist. Wenn wir diese Idee loswerden, die Idee von einer „Rasse“ als solcher, könnten wir das Problem des Antisemitismus überwinden und das Problem aller nationaler Konflikte. Es gibt nur Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften, es gibt gar keine Rassen.
Was für eine Versuchung so zu denken! Diese Versuchung ist jedoch nichts Irreales, besonders angesichts des modernen Bemühens um eine Lösung nationaler Konflikte, besonders in Europa. Als Christ mag man sagen: jeder von uns ist ein menschliches Westen, eine Person, ein Abbild Gottes, gleich wie wir aussehen oder welche Sprache wir verwenden (man kann tatsächlich jede Sprache lernen, jede Kultur zu seiner eigenen machen). Nehmen wir als Beispiel die russische Judenheit. Die Juden in Russland kennen oftmals gar keine jüdische Sprache mehr noch eine jüdische Kultur oder Religion. Sie sprechen Russisch, sie werden in der russischen Kultur aufgezogen. Zu sagen daß sie Russen sind, ist auch nicht richtig, das kann von beiden, den Russenn und den Juden, als Angriff verstanden werden. Der beste mögliche Weg um dieses nationale Problem zu verhindern, ist solche Konzepte wie „Rasse“ gar nicht mehr zu verwenden. Jeder von uns ist ein menschliches Wesen mit seinen eigenen Besonderheiten. Das genügt.
Weiterhin kann dieser „Humanismus“ sozusagen christliche Ideen zu seiner Unterstützung verwenden. Er kann sagen: Ja, es gab so etwas wie rassische oder nationale Spaltung, aber nach Christus sind sie aufgehoben. War es nicht Christus selbst, der die Mauer der Trennung zwischen Juden und Heiden zerstört hat, zwischen Barbaren und Skiffs(?), mit einem Wort, zwischen allen Rassen und Nationen?
Ja, wir orthodoxen Christen glauben, daß Christus die Trennmauer zwischen den Juden und den Heiden zerstört hat, zwischen den Rassen im Allgemeinen. Es war an Pfingsten, als alle Nationen und Rassen der ganzen Welt durch den Heiligen Geist zur Teilnahme an dem einen Bund Gottes aufgerufen wurden. Sogar die alte, heidnische Welt kannte jedoch keinen solchen rassistischen Hass, wie ihn die moderne Welt kennt. Christus hat die Trennmauer zerstört, aber Er hat den rassischen Unterschied als solchen nicht abgeschafft, wie er auch nicht den Tod der den Tod bringt(?) nicht abgeschafft hat.
Der echte Kern der Mission Christi war nicht die Abschaffung rassischer Unterschiede als solcher, sondern uns einen Weg zu öffnen für Völker anderer Rasse. In der selben Weise ist uns nun, nach Christus, der Weg geöffnet sich vor dem Tod nicht zu fürchten. Leicht ist es den „Menschen“ allgemein zu lieben, einen abstrakten „Menschen“. Solch einen Menschen gibt es in der Realität aber nicht. Schwer ist es eine Person einer anderen Rasse, Kultur oder Nation zu lieben. Er ist der andere. Und Christus hat die Möglichkeit zur Liebe des anderen geöffnet, nicht einen Menschen wie wir selbst.
Die Existenz rassischer und nationaler Spaltungen zu bestreiten ist sowohl unrealistisch als auch gefährlich. Nehmen wir als Beispiel die Situation in Russland. Nach dem Scheitern der Lösung des nationalen Problems im Rahmen des kommunistischen Internationalismus, nach dem Kollaps der UdSSR, sind alle Völker Russlands bestrebt ihre nationale Existenz zu bestätigen. Ja, es gibt ernste Probleme in dieser Hinsicht für kleinere Völker. Das Volk, für das die Situation am kompliziertesten ist, ist jedoch das russische selbst (ich meine russisch dem Blut nach, diejenigen die sich selbst als Russen fühlen). Für die ist es schwer zu verstehen, was dieser Ausdruck, „russisches Volk“, bedeutet. Es gibt so ein Land wie Russland. Und alle russischen Bürger, gleich welchen Blutes sie sein mögen, sind Russen, wenn sie in Russland leben (sogar die Juden!). Wenn wir nun die russische Kultur nehmen, dann können wir sehen, daß sowohl Russen dem Blut nach und Nicht-Russen, sagen wir, Poesie in Russisch schreiben können (sie können sogar Poesie in Russisch schreiben, wenn sie in Amerika leben und von jüdischem Blut sind, wie etwa Brodsky. Was für ein Skandal für einen russischen Nationalisten!). Sogar in der Russisch-Orthodoxen Kirche kann man Christen unterschiedlicher Nationalitäten finden. Somit haben diejenigen, die dem Blute nach Russen sind, ein ernsthaftes Problem mit der Selbstidentifizierung. Sie fürchten sich davor in den modernen, wie sie es nennen, westlichen (oder amerikanischen) kosmopolitischen Internationalismus assimiliert zu werden. Sie möchten einen Platz finden, wo sie selbst als Russen fühlen können, einen typisch russischen Platz. [Nicht ein Restaurant oder Klub der für Zuwanderer gut ist, sondern einen Platz für das gesamte russische Volk.]
Wenn nun, in dieser Situation, einige „Humanisten“ sagen, daß es so etwas wie „Rasse“ (oder Blut) gar nicht gibt, das heißt, die Russen sollten sich keine Sorgen über ihre Existenz als Volk machen, welche Reaktion wird das hervorrufen? Nichts als Hass. Nationale Probleme können nicht auf der Grundlage von „Humanismus“ gelöst werden, selbst wenn er „christlich“ ist. Sie können sogar noch schmerzhafter werden, wenn jemand sie in dieser Weise lösen möchte. Jede Nation, jede Rasse, sollte einen Platz haben, an dem sie sich nicht davor fürchten muß, ihre Existenz als einmalige Form des Menschseins zu verlieren, das nicht durch irgendeine andere Form des Menschseins ersetzt werden kann, oder reduziert auf irgendeine abstrakte „menschlichen Natur“.
Beide Tendenzen (des Reduzierens und Ersetzens), sind, zusammen wirkend, in der modernen Welt anzutreffen. Die westliche, besonders die amerikanische, pluralistische Ideologie lehrt uns mit dem Konzept des „individuellen Menschen“ zu beginnen. Es gibt Individuen mit ihren eigentümlichen Eigenschaften. Diejenigen unter ihnen, die gemeinsame Eigenschaften haben und somit gemeinsame Interessen, organisieren bestimmte Gruppen, zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interessen. Das gibt es „Schwarze“, „Juden“, „Homosexuelle“, „Frauen“, „Lesben“ — alle Arten von Gruppen, in denen Individuen irgendeiner Art sich organisieren mögen. Diese Kultur (oder ihre Ideologie) lehrt, daß jede Gruppe von Leuten ihre eigenen Rechte hat, und daß wir sie als solche respektieren sollen und davon ablassen sollen die Leute einer jeder dieser Gruppen anzugreifen, ihre Recht und Identifizierung anerkennen sollen. Diese Kultur lehrt uns, beim Zusammentreffen mit, sagen wir, einem Menschen schwarzer Hautfarbe, ihn sofort mit anderen Menschen schwarzer Hautfarbe verbinden sollen, um Rassismus zu vermeiden. In der selben Weise lehrt sie uns im Gespräch mit einer Frau die Rechte von Frauen zu respektieren, um Sexismus zu vermeiden, gerade indem wir uns erinnern, daß sie eine Frau ist. Und so weiter und so fort.
Außerdem kann, nach dem Spielregeln der pluralistischen Gesellschaft, keine dieser Gruppen behaupten, daß sie die Wahrheit repräsentiert. Es gibt eine Wahrheit der Frauen, eine Wahrheit der Homosexuellen, eine Wahrheit der Juden, der Schwarzen und so weiter. Jeder Teil der Gesellschaft hat das Recht seine eigene Wahrheit zu erklären, dennoch sollte jeder Teil anerkennen, daß sein Teil nicht die gesamte Wahrheit ist.
Dieser Pluralismus wurzelt sicherlich tief im Protestantismus mit seiner Kette von Teilungen, und bewirkt seinerseits insgesamt den religiösen Pluralismus des Westens.
Das Problem der Selbstidentifikation kann in so einer Gesellschaft jedoch nicht gelöst werden. Nimmt man in unterschiedlichen Gruppen teil (man kann, sagen wir, ein „schwarzer“ „homosexueller“ und „Mittelklasse“-Amerikaner sein), dann kann man nicht mit seiner Selbstidentifikation zufrieden sein, eben deshalb, weil keine Gruppe oder ihre Vereinigung die gesamte Wahrheit repräsentieren kann. Niemand kann sich damit zufrieden geben, nicht in der Wahrheit zu sein, nicht darin Anteil zu haben.
Man kann freilich seine eigene Gruppe organisieren. Nur kann man auch dann nicht zufrieden sein (besser gesagt, man kann nur in dem Moment zufrieden sien, wenn man im Prozess der Trennung von seiner Mutter-Gruppe ist, im Moment der Individuation). Wenn man jedoch die Welt betrachtet, ist man sofort gezwungen alle anderen Wahrheiten anzuerkennen, und so verliert man seine Selbstidentifizierung.
Noch ein Weg zur Zufriedenheit in der westlichen Gesellschaft ist — sich mit der Idee des Pluralismus zu identifizieren — ein Ideologe der westlichen Gesellschaft zu sein. Es gibt aber immer noch einige Gesellschaften in der Welt, die den Pluralismus nicht anerkennen. Somit ist ein Ideologe des Pluralismus gezwungen diese Gesellschaften entweder als gänzlich unwahr zu behandeln oder anzuerkennen, daß sie ihre eigene Wahrheit haben. Wenn er anerkennt, daß sie ihre eigene Wahrheit haben, kann er kein echter Pluralist mehr sein, weil er in diesem Fall irgendeine andere Idee anerkennt, was er als Pluralist nicht machen kann. Somit verliert er seinen Job.
Wenn er aber bestreitet, daß andere, nicht-pluralistische Gesellschaften irgendeine Wahrheit enthalten, nennt er sie „Reich des Bösen„. Er erkennt somit an, daß das Böse existiert. Er wird zu einem Maniker. Er widmet sein Leben dem Kampf gegen das Böse, und zieht als Ideologe seine Nation in diesen Kampf hinein. Weil das Böse aber immer noch existiert, kann er im Frieden weder mit sich selbst noch mit seiner Gesellschaft sein.
Die pluralistische Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Spaltung, eine Gesellschaft der nuklearen Reaktion, einer Spaltung, die niemand aufhalten kann. Der Ursprung dieser Spaltung ist klar: Individuen, oder kleine Gruppen, die sich von ihren Mutter-Gruppen trennen und irgendwelche neuen Gruppen organisieren. Aber diese neuen können niemand anderes zufrieden machen. Gleichzeitig ist die pluralistische Gesellschaft monolithisch bezüglich anderer, nicht-pluralistischer Gesellschaften. Niemand der im Spiel der pluralistischen Gesellschaft mitspielt, kann zufrieden sein. Die Energie der Spaltung, die Energie der Teilung bleibt jedoch innerhalb der monolithischen Gesellschaft. Die Gesellschaft bewahrt ihre Engergie und sammelt ihre Kraft.
Wir in Russland haben andererseits Tendenzen einer anderen Art. In den Jahren des Totalitarismus gab es nur eine Wahrheit, die die Wahrheit zu sein behauptete und in der Gesellschaft gehalten wurde. Und wenn sogar die Hierarchen der Kirche waren zur Anerkennung der kommunistischen Ideologie gezwungen, zumindest für das Leben in dieser Welt. Hinsichtlich des Lebens nach dem Tod wurde Christen erlaubt ihre eigenen Meinungen zu haben, das war kein ernsthaftes Problem für die kommunistische Ideologie.
In ihrem Gefühlt selbst in der Wahrheit zu sein, war die Gesellschaft unglücklich über die Existenz anderer Gesellschaften mit anderen Ideologien, weil es nur eine Wahrheit geben kann. Sie versuchte ihre Wahrheit in anderen Ländern zu verbreiten. Sie war in einer Konfrontation mit den Ländern des Westens, mit den pluralistischen Gesellschaften.
Jetzt hat die russische Gesellschaft keine eigene Wahrheit. Bis zu einem gewissen Grad hat sie das pluralistische Modell des Westens akzeptiert. Die westliche Demokratie hat in ihrem Sein jedoch zwei Dimensionen:
- Den Dynamismus innerer Trennungen (die nukleare Reaktion aus der die Energie für das gesellschaftliche Leben hervorbringt), und
- ihre monolithische Haltung gegenüber externen, nicht-pluralistischen Gesellschaften, die als „böse“ behandelt werden.
Hinsichtlich Russlands ist der Westen nicht mehr der Feind für unser Land. Länder wie China haben ihre eigenen Probleme und sind derzeit nicht aggressiv oder nicht stark genug. Darüber hinaus hat Russland sich den Werten des Pluralismus noch nicht genug verschrieben, um sie im Ausland ernsthaft zu verteidigen und propagieren. Somit gibt es keine Grundlage für irgendeine Ideologie zur Konsolidierung der russischen Nation. Und ohne diese Konsolidierung führt dieser Prozess der inneren Spaltung, der für pluralistische Gesellschaften typischen nuklearen Teilung, nicht zur Akkumulation von Engergie (wie es etwa in Amerika geschieht), sondern führt nur zur Verschwendung der Energie der russischen Nation.
Somit kommen einige, die sich über die Zukunft des Landes sorgen und eine Rolle darin spielen wollen, zur Gewinnung von Macht zur Rettung Russlands, freiwillig oder unfreiwillig auf die Idee, daß es keinen anderen Weg zur Konsolidierung der russischen Nation gibt, als die Gegnerschaft dem Westen gegenüber (angefangen mit der Gegnerschaft den westlichen Werten). Nachdem der Kommunismus den Kalten Krieg verloren hat, sehen sie als Variante nur die Benutzung dessen, was sie als typisch russisch ansehen — die Russisch-Orthodoxe Kirche, für die Konsolidierung der russischen Nation. Sie wollen Russland als das orthodoxe Land proklamieren.
Nachdem es aber eine orthodoxe Kirche in, sagen wir, Amerika, England, Frankreich, Syrien, Griechenland gibt, können sie diese Orthodoxie nicht als etwas typisch Russisches proklamieren. Die Möglichkeit das zu sagen eröffnet sich nur, wenn sie sagen, daß alle anderen orthodoxen Kirchen gar nicht orthodox sind, und nur die Russisch-Orthodoxe Kirche wahr ist (eine Ausnahme wird für Serbien gemacht, weil die Serben die ersten Feinde des Westens sind).
Ich will die im Westen wohnende orthodoxe Kirche nicht beurteilen. Sie hat ihre eigenen Existenz-Probleme in den pluralistischen Gesellschaften, wo der Pluralismus und der Humanismus als sein Vorgänger ihre eigene Verführung durch die Kirche vorschlagen. Wenn die orthodoxe Kirche beispielsweise bereit ist, die Christen anderer Konfessionen als „die Kirche“ (etwa die anglikanische Kirche) zu bezeichnen, dann nimmt sie freiwillig oder unfreiwillig Teil in den pluralistischen Spielen dieser Welt, verliert ihre Auftrag als Zeuge für die kommende Welt, für das Einssein aller in Christus.
Meine Verantwortung liegt jedoch innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche. Hier sehe ich eine andere ernsthafte Gefahr: die orthodoxe Kirche zu einer Ideologie zu machen. Ja, es ist wahr, daß russische Politiker nach einer Ideologie suchen, um Macht zu gewinnen und die Nation zu konsolidieren. Die Situation in der Welt und in der Weltgeschichte ist so, daß die einzige Ideologie, die die russische Nation konsolidieren kann, anti-westlich ist. Es gibt keine andere ernsthafte Grundlage für die Schaffung einer anti-westlichen Idelogie als die Orthodoxie als etwas typisch Russisches zu proklamieren und den orthodoxen Kirchen im Westen die Orthodoxie abzusprechen.
Die Russisch-Orthodoxie Kirche ist damit der größten Versuchung ihrer Geschichte ausgesetzt, die sogar noch ernster ist, als in den Jahren der Revolution und des Kommunismus. Diese nach Macht strebenden Politiker sind vergleichsweise schwach, ohne die Unterstützung der Kirche, weil sie keine Autorität innerhalb der russischen Nation haben. Alle Güter der Welt versprechen sie den Hierarchen der Kirche und der Kirche im allgemeine, wenn sie nur Macht bekommen. Sie versprechen das Ende der Verbreitung jeder nicht-orthodoxen Religion in Russland, sie versprechen die Förderung religiöser Erziehung an den Schulen. Sie versprechen die politische Macht mit der Kirche zu teilen, und so weiter und so fort …
Trotz aller Leiden in unserem Land, trotz aller Versuchungen durch Politiker und Ideologen (die vor allem auf die herrliche Vergangenheit unserer Kirche und ihre Rolle in der russischen Geschichte spekulieren), über alle diese Versuchungen hinweg, sollte unsere Kirche nicht zulassen, daß ihr heiliger Name im Kampf um Macht, in der Ideologie benutzt wird. Sie sollte nicht zulassen, daß Russland zum einzig wahren orthodoxen Land der Welt erklärt wird. Diese Ideen sind nichts als geistiger Krebs, satanische Versuchung.
Auch wenn die orthodoxe Kirche im Westen einige Fehler macht, auch wenn alle orthodoxe Kirchen in den westlichen Ländern vor die Hunde gehen, die Russisch-Orthodoxe Kirche sollte nicht zulassen, daß sie für die einzig wahre erklärt wird. Es gibt nur eine wahre orthodoxe Kirche — die Eine Heilige Katholische Apostolische Kirche, an die wir nach unserem Glaubensbekenntnis glauben. Wir sagen nicht: ich glaube an die Russisch-Orthodoxe Kirche.
Ja, es wäre ein schwerer dogmatischer Fehler zu sagen, daß die Russisch-Orthodoxe Kirche nicht eine Katholische Apostolische Kirche ist. Die orthodoxe Kirche in jedem Land ist eine und die selbe Apostolische Kirche. Man kann jedoch nicht sagen, daß die eine Heilige Apostolische Kirche die Russisch-Orthodoxe Kirche ist. Diesen Unterschied zwischen der Apostolischen Kirche und der Russisch-Orthodoxen Kirche sollten wir im Kopf behalten. Anders können wir nicht sicher durch die Versuchungen unserer Zeit kommen.
Wenn wir nun zur jüdischen Frage zurückkehren, kann man anerkennen, daß, wie üblich, die Haltung gegenüber den Juden als ein Prüfstein für die geistige Gesundheit (nun der Kirche) dienen kann. Angesichts des Phänomens der Theologie nach Auschwitz, die im Westen obsiegt hat, fällt den russisch „orthodoxen“ Ideologen nichts besseres ein, als etwas gegensätzliches zu erfinden (das macht ihnen tatsächlich sogar Spaß, aus der Theologie nach Auschwitz eine nette Ausrede für die Konsolidierung des Volks zu machen, indem sie die westliche Christenheit verfluchten).
Sachen in dieser Art sind in der Geschichte der Christenheit übrigens recht üblich. Der christliche Antijudaismus und Antisemitismus war häufig eine Reaktion auf ewige Spaltungen unter den Christen selbst in ihrer Haltung gegenüber den Juden. Die wirkliche Debatte vollzog sich nie zwischen Christen und Juden, sondern zwischen Christen (siehe John G. Gager „The Origins of anti-Semitism, Oxford University Press, 1985 p. 269). Während ein Teil der Christen vom Judentum angezogen wurde, hat der andere Teil es verurteilt, wobei Antijudaismus (und Antisemitismus) häufig als Werkzeug benutzt wurde.
Ich meine nicht, daß man das Judentum oder die Theologie nach Auschwitz nicht verurteilen sollte. Ich habe hier in meinem Paper selbst einiges dazu gesagt. Man sollte jedoch beim Verurteilen des Judentums oder der Theologie nach Auschwitz immer auf den Unterschied zwischen den Juden als Volk und dem Judentum als Religion verweisen. Wenn dieser Unterschied nicht gemacht wird, wenn die Juden als Volk verflucht werden für alle Sünden des Judentums und der nicht-orthodoxen Christenheit, dann, können wir sagen, ist die Orthodoxie ernsthaft krank.
Und das ist von besonderer Wichtigkeit, weil es viele Juden gibt, die in Russland zur orthodoxen Kirche gekommen sind, und noch viel mehr mögen kommen, wenn es nur nicht diesen Antisemitismus in der orthodoxen Kirche gibt.
Das selbe trifft zu auf die Gegnerschaft zum Westen im Allgemeinen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche sollte ihren Mitgliedern beibringen, daß sie nicht anti-amerikanisch sein sollen. Wir haben nicht das Recht irgendeine Nation oder Rasse zu beschuldigen. Unsere Feinde sind nicht Fleisch und Blut, sondern die bösen Geister. Es ist nicht nur die „westliche Welt“, die im Bösen ist. Die „russische Welt“ ist ebenso im Bösen. Oder besser, wie die Kirche lehrt, die gesamte Welt, „die Welt“ als solche ist im Bösen. Sie lehrt aber, daß Christus die Welt überwunden hat.
Es gibt nur einen Platz für jede Nation, an dem jede Rasse Frieden finden kann, wo sie sie selbst werden kann, wo sie geheilt werden kann. Dieser Platz ist in der Kirche, der Heiligen Katholischen Apostolischen Kirche, dem geliebten Israel Gottes. Sobalnd nur ein Mensch jeder Rasse zur Kirche kommt, bedeutet das, daß alle Rassen zur Kirche kommen, in ihr sind. Denn unsere Nation (oder Rasse) ist in uns. Nur in der Kirche können wir von den schmerzhaften Spaltungen unserer Menschheit geheilt werden, diesen Spaltungen zwischen Nationen und Rassen, die in der Geschichte des Turms zu Babel beschrieben wird. Einzig in der Katholischen Apostolischen Kirche, mit dem Pfingstereignis, wo jede Nation und jede Rasse zur Teilnahme am Bund Gottes aufgerufen ist, hat dieses seit der Zeit der Apostel niemals aufgehört.
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Oktober 27, 2012 um 8:35 pm
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