Großer Herbst

Von Werner Bergengruen

Großes Lob hat Gott sich zugerichtet
aus den Zeiten, aus dem Sternenkreis.
Langsam ist des Sommers Kranz gelichtet,
und die Stirn gibt ihn erbötig preis.

Vogelwolken stieben von den Gärten,
Felder stehn geräumt, und Beete glühn,
unsern sanften Wiesengrund zu härten,
wird sich bald ein früher Nachtfrost mühn.

Schauert nicht sein Vorgefühl in Winden,
nicht im Rascheln flammenfarbenen Weins?
Kühler Anhauch weiß uns aufzufinden
in der Süße selbst des Mittagsscheins.

Und Orion hebt sich, der Titane,
großer Ahnherr aller Jägerschar,
triumphierend aus dem Ozeane
und besiegelt riesenhaft das Jahr.

Früh am Abend hält er sich verhohlen,
erst die Mittnacht bringt der Jagd Beginn,
seine Hunde fiebern schon verstohlen
heiß und züngelnd nach der Beute hin.

Hell am Gürtel funkelt sein Geschmeide,
silbern flammt das kurze Jägerschwert,
aber nie verläßt es seine Scheide,
und der Abflug ist dem Pfeil verwehrt.

Denn in jener hohen Bildersphäre
hat das Flüchtge stete Gegenwart.
Ewig ihrer Eichel harrt die Ähre,
und der Löwe ist im Sprung erstarrt.

Ewig krümmen Drache sich und Schlange
und erwarten scheu den Bogenschuß,
ewig flüchtet sich der Walfisch bange,
in die Fluten des Eridanus.

Schwan und Adler spannen ihr Gefieder,
doch der dunkle Hort entläßt sie nicht,
fruchtlos dehnt die Jungfrau ihre Glieder,
und die Waage bleibt im Gleichgewicht.

Stumme Heldenlieder träumt die Leier,
und der Becher hält den Wein gespart,
kampflos steht Andromedas Befreier,
und der Fuhrmann rüstet für die Fahrt.

Einmal aber wird die Zeit gewogen,
alles Starre löst sich aus dem Bann,
einmal schnellt Orions Pfeil vom Bogen,
und die Hunde springen heulend an.

Jauchzend stürmt er durch die Sternengassen,
und sein Erz wird roter Flammenschein.
In die erste Leidenschaft entlassen,
erntet er die goldene Tierwelt ein.

Berstend sprüht die Leier ihre Klage
und der Schwan den süßen Sterbepsalm,
ihrer Schalen eine lenkt die Waage,
und die Ähre stürzt gefällt vom Halm.

Von der Krone klarem Mosaike
splittern Trümmer, feurig abgetaut,
und der Königsgattin Berenike
immerjunges Silberhaar ergraut.

Da der letzte Trank im Becher schäumte
und der Wölbung edles Maß zerriß,
Stier und Löwe sich verendend bäumte
in der ungeheuren Finsternis.

Da die heiligen Zwölf im Sturm verwehten
und der Milchbahn Schleier hingeblaßt –
welche Zeichen weisen den Planeten
noch die Straße und die sichere Kraft?

Oder werden auch die sieben alten
Wandrer nicht mehr ihre Kreise drehn?
Welchen Herbsten sind wir aufbehalten?
Vater, laß uns nicht verloren gehn!

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