Libanons meistgesuchter sunnitischer Terrorist sprengt sich in Syrien in die Luft

Übersetzung des Artikels
In Syria, Lebanon’s Most Wanted Sunni Terrorist Blows Himself Up
erschienen am 23. April 2012 im TIME Magazine

Daß sich der libanesische Terrorführer Abdel Ghani Jawhar in Syrien versehentlich selbst in die Luft sprengte, wirft Fragen über den Umgang der Rebellen auf.

Von Ary Baker und Rami Aysha in Beirut

Ein sicher auch makaberer Grund zum Feiern ist es, wenn sich einer der meist gesuchten Terroristen des Libanon beim Legen einer Bombe selbst umbringt. Ein Grund zur Besorgnis ist es aber, wenn sich ausgerechnet der Chef-Bombenbauer der berüchtigsten Terrorgruppe dieses Landes selbst in die Luft sprengt, während er den in Syrien kämpfenden Rebellen hilft.

Das TIME Magazine hat erfahren, dass Abdel Ghani Jawhar, einer der Führer der sunnitisch-fundamentalistischen Terrorgruppe Fatah al-Islam, Freitag nachts in der syrischen Stadt al-Qsair starb. Scheich Osama al Shihabi — das ist der Kleriker, der Fatah al-Islam gegründet hat — bestätigte Jawhar’s Tod gegenüber dem TIME Magazine mit einem Zitat aus dem Koran: „‚Wir sind für Gott und zu ihm kehren wir zurück.‘ Wir als Mudschaheddin sind es gewöhnt getötet zu werden und wenn Gott den Getöteten Würde erweisen will, dann gibt er ihnen das Martyrium. Dies ist der Weg der Rechtschaffenheit.“

Es ist dies nicht das erste Mal, daß man glaubte Jawhar wurde getötet; zahllose vorherige Berichte über seinen Tot waren in den letzten Jahren wieder dementiert worden. Diese Nachricht über seinen Tod wurde jedoch von einer ganzen Anzahl von nicht miteinander in Beziehung stehender Nachrichtenquellen weitergemeldet, in Syrien ebenso wie im Libanon. Laut eines seiner Mitstreiter, der den Kämpfernamen Abu Ali trägt, war Jawhar gerade dabei einen Sprengkörper, der gegen die syrische Armee eingesetzt werden sollte, vorzubereiten, als diese versuchte die von Rebellen dominierte Stadt einzunehmen. Als Abi Ali diese Geschichte über Skype erzählte, waren Geräusche von Bomben und Explosionen im Hintergrund zu hören. Jawhar’s Bombe ging vorzeitig los, sagt Abu Ali. „Er war sofort tot. Wir hätten seinen Körper gerne zurück in den Libanon gebracht, aber das war nicht möglich, weil er in Stücke zerrissen war.“ Jawhar’s Mitkämpfer mußten seine Überreste in einem Garten in der Nachbarschaft begraben, weil es während der Kämpfe nicht möglich war zum Friedhof zu kommen.

Laut Abu Ali und einem anderen Mitkämpfer kam Jawhar zwei Wochen davor mit einer Gruppe von 30 libanisischen Kämpfern in al-Qsair an. Erst später kam heraus, daß viele von ihnen der Fatah al-Islam angehörten. Sie bezeichneten sich stattdessen als Mudschaheddin, als Heilige Krieger, die ihren muslimischen Brüdern helfen wollten, die vom syrischen Regime angegriffen werden.

Der charismatische Kommandeur Jawhar wollte als Sprengstoff-Experte seinen Mitkämpfern zeigen, wie man Bomben baut. Es gelang ihm in der kurzen Zeit, in der er in al-Qsair war, Dutzende improvisierter Sprengkörper zu bauen, die für Mitglieder der syrischen Sicherheitskräfte bestimmt waren. „Sein Ziel war es, im Rahmen einer Tour durch alle Bezirke Syriens, den Kämpfern beizubringen, wie ein Guerillakrieg geführt wird.“

Wegen dieses Bestrebens nennt Abu Ali Jawhar einen Helden und Märtyrer. Den syrischen Rebellen, die auf internationale Unterstützung für ihren Kampf zum Rücktritt Baschar Assads hoffen, bereitet diese Art der Öffentlichkeitsarbeit Kopfschmerzen. Wie auch andere syrische Widerstandsgruppen hat die Freie Syrische Armee lange versucht die Beschuldigungen des Regimes herunterzuspielen, wonach die Rebellen mit islamischen Fundamentalisten und Al-Qaida-Sympatisanten in einem Bündnis stehen. Trotzdem Fatah al-Islam jede Beziehung mit al-Qaida bestritten hat, gibt es zwischen den Gruppen und deren Mitgliedern Verbindungen. Die Folgerung, daß eine der al-Qaida nahestehende Gruppe den syrischen Rebellen beim Bau von Bomben und beim Schüren einer Guerillakrieges hilft, könnte die Wahrnehmung des Westens grundlegend ändern und die Diskussionen über eine Bewaffnung der Rebellen und die Errichtung einer Flugverbotszone zum Verstummen bringen. „Jawhars Tod auf syrischem Territorium bestärkt die Ängste der internationalen Gemeinschaft, daß Waffen, die man den Rebellen gibt, am Ende in den Händen von Radikalen landen“, sagte der libanesische Professor und Experte für die Fatah al-Islam Dr. Talal Atrissi. „Es muß die syrische Opposition zutiefst beschämen, daß so ein Mann zusammen mit den Rebellen kämpft.“

Der Bericht über Jawhars Grenzübertritt ist vom libyschen Geheimdienst bestätigt worden. Es soll Hinweise gegeben haben, die so einen Schritt erwarten ließen, aber es gelang nicht ihn zu fassen. „Er konnte immer irgendwie entfliehen“, säufzt ein höherer Offizier des Geheimdiensts. Jawhar habe dort den Spitznamen „Merkur“ gehabt, weil es ihm immer wieder gelang aus der Haft zu entkommen — mindestens 34 Mal, gemäß der offiziellen Einschätzungen. Libanesische Sicherheitsquellen sagen, daß auch ihnen Informationen über seinen Tod vorlagen, daß ihnen aber keine Details vorlagen. „Wenn sein Tod bestätigt ist, dann hat sich für uns ein großes Problem von selbst gelöst, wir haben in unseren Akten Unmengen von Spuren und Informationen, die mit ihm in Zusammenhang stehen“, sagt der Offizier.

Jawhar wird die Planung einer ganzen Reihe von Bombenanschlägen gegen die UN Sicherheitskräfte im Libanon zur Last gelegt, ebenso auf libanesische Sicherheitseinrichtungen, bei den es Zig Tote gab und Hunderte von Verletzten. Gemäß des Offiziers wird er im Zusammenhang mit 200 ungelösten Mordfällen, Attentaten, versuchten Attentaten und Bombenanschlägen gesucht. Man geht auch davon aus, daß für den Tod eines christlichen Ladenbesitzers verantwortlich ist, der nördlich von Tripoli Alkohol verkauft hatte. „Sein Tod ist ein großer Verlust für die libanesischen Sicherheitskräfte, weil doch anzunehmen ist, daß er sehr viel über die Terrorgruppen der Region wußte.“, sagt Atrissi. Doch obwohl Jawhars Tod ein schwerer Rückschlag für die Gruppe ist und sie auch schon Festnahmen und Tode einer ganzen Menge hochrangiger Mitglieder geschwächt wurde, „bedeutet das nicht, daß die Region sicherer wird“, sagt Atrissi. „Jedes der Mitglieder solcher Gruppen ist ein potentieller Abdel Ghani Jawhar.

Jawhar, der 30-jährige Biochemiker aus dem Norden des Libanon, wuchs in der Zeit auf, als der brutale Bürgerkrieg tobte. Erst schloß er sich der Muslimbruderschaft an, aber die verließ er dann wieder, wegen doktrinärer Unstimmigkeiten — er meinte, daß deren Interpretation der Scharia-Gesetze nicht strikt genug ist. Dann schloß er sich den extrem konservativen Salafisten an. Die verließ er dann aber auch wieder, wegen der selben Gründe. Zum Schluß wurde er 2008 Mitglied der Fatah al-Islam. Nachdem einer deren Führer 2010 bei einem Schußwechsel mit den libanesischen Sicherheitskräften getötet wurden war, wurde er zu dessen Nachfolger ernannt. Laut eines libanesischen Geheimdienst-Offiziers war er sehr erfolgreich beim Werben neuer Mitglieder, sogar libanesische Soldaten konnte er für seine Sache gewinnen. Seine Terror-Bestrebungen umfaßten den Libanon, Syrien und den Irak, wo er als Verantwortlicher für etliche der verheerenden Explosionen gesehen wird, die Angehörige der internationalen Truppen töteten. „Das Netzwerk war er selbst“, sagt der Offizier. „Er hatte Verbindungen in der ganzen Region; er war ein unbarmherziger Mörder.“

Jawhar war verstrickt in den Mord an einem libanesischen General, an einem Major des Geheimdiensts und an einem Abgeordneten des Parlaments. Beinahe wäre es ihm auch gelungen, den Befehlshaber der libanesischen Armee zu ermorden sowie den Befehlshaber des Inlandsgeheimdienstes. Sein Tod in Syrien, sagt der Offizier, mag in manchen Vierteln als wohlverdiente Strafe begrüßt werden, „aber für uns ist es vernichtend. Es geht hier um eine persönliche Angelegenheit zwischen Jawhar und dem Geheimdienst.“ Darüber hinaus ruft es Bedenken über den Kampf der Aufständischen hinter der Grenze in Syrien hervor.


Anmerkungen des Übersetzers:

  1. Gegen ein Mitglied der Fatah al-Islam hatte die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit dem versuchten Kofferbombenanschlag 2006 ermittelt.
  2. Die Süddeutsche Zeitung stellte diese Gruppe damals als „pro-syrisch“ dar, z.B. hier und hier. Der erste der beiden Artikel stammt vom Tomas Avenarius, der seit 1990 als „Nahost-Korrespondent“ für die Süddeutsche Zeigung schreibt, beim zweiten steht nur „AP“ als Verfasser.
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8 Kommentare - “Libanons meistgesuchter sunnitischer Terrorist sprengt sich in Syrien in die Luft”


  1. […] übersetzte diesen Bericht, nachzulesen auch hier, erschienen am 23. April 2012 im TIME Magazin, von Ary Baker und Rami Aysha in […]


  2. […] The terror is made by the “Friends of Syria”. […]


  3. […] Es gibt eine Alternative zum Krieg: Der Westen dreht seinen Terrorgruppen simpel den Hahn ab. Ja, liebes Publikum, auch wenn (oder gerade weil) Sie das nicht von der ARD-ZDF-RTL-BILD-SPIEGEL-Kampftruppe erfahren. Der Terror wird von den “Freunden Syriens” gemacht. […]

  4. apxwn Says:

    Der schlimmste libanesische Terrorist ist aber *eigentlich* Saad Hariri.


  5. […] entlang religiöser Linien gab. Nach den von al-Qaida und anderen Terrororganisationen, z.B. der im Libanon entstandenen Fatah al-Islam, begangenen Verbrechen zeichne sich eine solche Konfrontation jedoch ab. Die Terroristen, die […]


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