Tunesien: Wer ist dieser Rachid al-Ghannouchi?

Nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali kündigte der in London im Exil lebende Führer der verbotenen islamistischen Nahda-Bewegung Rachid al-Ghannouchi an, daß er sich auf seine Rückkehr vorbereite und gewillt sei, sich an der von Fouad Mebazaâ vorgeschlagenen Übergangsregierung „der nationalen Einheit“ zu beteiligen.

Rashid Al-Ghannoshi

Rashid Al-Ghannoshi

Wer ist dieser Rachid al-Ghannouchi?

In dieser Rezension von Rachid Ghannouchi: A Democrat within Islamism heißt es über ihn, daß er ein „begeisterter Unterstützer der Hamas“ ist, die ihn als Theoretiker schätzt und als einen der Ihren betrachtet. In den letzten Jahren soll er überall in Großbritannien bei Demonstrationen als Redner aufgetreten sein. Einmal soll er der Lüge überführt worden sein, als er behauptete, daß die US-Regierung Moscheen schliessen würde. Das rezensierte Buch stammt von Azzam Tamimi, einem ebenfalls in London lebenden pro-Hamals Palästinenser, der dort das Institute of Islamic Political Thought leitet.

In dieser Rezension von Liberal Islam: A Sourcebook ist u.a. zu erfahren, daß er in den USA Einreiseverbot hat.

Im Jahr 1992 soll er in London eine Rede gehalten haben, bei der er sich nachdrücklich gegen die Verwendung des Begriffes Fundamentalismus ausgesprochen hat, „weil es in der Verwendung im Westen einen negativen Beiklang hat“.

Sein Webauftritt ist hier zu finden. Außer zwei in Englisch verfassten Artikeln ist dort alles in Arabisch. Im ersten der beiden Artikel befaßt er sich mit Yusuf al-Qaradawi, der z.B. Selbstmordattentate billigt. Der Artikel enthält offenbar al-Ghannouchis Vortrag bei der Rethinking Jihad-Konferenz, die vom 7.-9. September 2009 an der Universität von Edinburgh stattfand. Veranstaltet wurde diese Konferenz vom Centre for the Advanced Study of the Arab World, bei der es sich um eine von der britischen Regierung finanzierten Einrichtung handelt. Beim zweiten Artikel handelt es sich um ein Interview mit OnIslam.net. Dieses Interview ist auch auf anderen Seiten zu finden, z.B. hier; das ist die englischsprachige Seite der Muslimbruderschaft. Hier ein weiterer Artikel auf deren Seite, wo Ansichten von ihm über Pakistan wiedergegeben werden.

Interessant ist außerdem dieser Artikel in der Zeit von 2002, der unter dem Eindruck des Spengstoffattentats auf die Al-Ghriba-Synagoge geschrieben wurde, bei dem 14 deutsche Touristen getötet wurden:

Auch Tunesien wähnte sich bis vor kurzem in Sicherheit vor islamistischen Anschlägen. Das Land, das sich jährlich rund einer Million deutscher Touristen gern als “die grüne Oase im großen Sandmeer” verkauft, ist längst keine “Insel der Seligen” mehr. Im Gegenteil. Tunesiens Staatspräsident Zine el Abidine Ben Ali kann nur mit äußerst brutalen Methoden seine Macht gegen die Islamisten sichern. Deren Rückhalt ist groß: Knapp 30 Prozent der Tunesier sympathisieren, mangels demokratischer Alternativen, mit der einzig funktionierenden Opposition im Land – der islamistischen Al-Nahda-Bewegung von Scheich Rached Ghannouchi. Die Kerker des Landes sind voll mit Islamisten. Folter ist an der Tagesordnung. Mit zweifelhaften Schauprozessen versucht das Regime die Extremisten auszuschalten – und die demokratische Opposition gleich mit. Die Tunesier werfen dem Regime Ben Alis Kollaboration mit den USA vor, die Israel einseitig unterstützten. Gerade der studentische Nachwuchs und der Mittelstand sind, aufgewühlt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt, sehr anfällig für die Ideen der radikalen Muslime. Einige von ihnen gehen oftmals auf Wanderschaft.

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5 Kommentare - “Tunesien: Wer ist dieser Rachid al-Ghannouchi?”

  1. antifo Says:

    Eine ganze Reihe zitierfähiger Dokumente, in denen es um den „politischen Islam“ geht, ist hier zu finden:

    http://www.njouba.com/ghannouchi-ebook.html

    darauf gestoßen bin ich mit einer Suche nach

    „Rethinking Jihad“ + Ghannouchi

  2. antifo Says:

    Lesenswert ist auch diese Analyse

    http://www.foreignpolicy.com/articles/2011/01/14/why_tunisias_revolution_is_islamist_free

    The nature of the opposition and the willingness of the Tunisian government to back down are not coincidental. If it had been clear that Islamist opposition figures were playing a large role in the current unrest, the government would likely have doubled down on repressive measures. The Tunisian government is rooted in secular Arab nationalist ideology and has long taken its secularism and its nationalism more seriously than its neighbors. Habib Bourguiba, Ben Ali’s predecessor and the father of the post-colonial Tunisian state, took over lands belonging to Islamic institutions, folded religious courts into the secular state judicial system, and enacted a secular personal status code upon coming to power.

    Bourguiba, like Mustafa Kemal Ataturk in Turkey, viewed Islamists as an existential threat to the very nature of the Tunisian state. He viewed the promotion of secularism as linked to the mission and nature of the state, and because Islamists differed with him on this fundamental political principle, they were not allowed into the political system at all. Bourguiba displayed no desire for compromise on this question, calling for large-scale executions of Islamists following bombings at tourist resorts. He was also often hostile toward Muslim religious traditions, repeatedly referring to the veil in the early years of Tunisian independence as an “odious rag“.

  3. Renate Says:

    Die westliche Staatengemeinschaft sollte jetzt alles dafür tun, dass es in Tunesien eine demokratisch gewählte, volksvertretende Regierung geben kann. Gelingt dies, könnten sich viele unterdrückte und ausgebeutete Völker nach Vorbild der tunesischen Revolution, von ihren autoritären Regimen befreien. Und davon würde die ganze Welt profitieren.

  4. Antifo Says:

    Rachid al-Ghannouchi segnet Selbstmordattentäter und deren Mütter:

    Im Mai 2001 segnet er in einer von Al-Jazeera ausgestrahlten Fernsehsendung die Mütter von Selbstmordattentätern mit den Worten: „Ich möchte meine Segenswünsche den Müttern dieser Jugendlichen übermitteln, dieser Männer, denen es gelungen ist, ein neues Gleichgewicht der Kräfte zu erringen … Ich segne die Mütter, die im gesegneten Palästina den Samen dieser Jugendlichen gepflanzt haben, die dem internationalen System und den von den USA unterstützten arroganten Israelis eine wichtige Lehre erteilt haben. Die palästinensische Frau, die Mutter der Shahids [Märtyrer], ist selbst eine Märtyrerin, und sie hat ein neues Vorbild für die Frau geschaffen …“

    http://www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/483.htm

  5. 2010sdafrika Says:

    Es ist unglaublich, was zurzeit in Tunesien passiert. Ich stehe als deutsch-tunesischer Politikwissenschaftler im engen Kontakt mit Tunesiern in Deutschland und in der Heimat. Es ist traurig, das zum ersten Mal seit Gründung der Republik nun Frauen vergewaltigt wurden:
    http://2010sdafrika.wordpress.com/2011/01/16/burgerkrieg-droht-in-tunesien-lybiens-blogger-mobilisieren-volk/.


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