Archiv für Juni 2010

Moskau: „Moskowiter-Code“ statt Hinterzimmer-Dialoge

Juni 30, 2010

Während man in Berlin teils zu den absurdesten Maßnahmen greift (rauschende Multikulti-Feste, Verbot der Deutschlandfahne), damit Hinzuziehende nur ja nicht auf die Idee kommen, sich aus eigenem Antrieb zu integrieren — wohl damit die „hochbezahlten Integrationsarbeiter“ nicht eines Tages ohne öffentliche Fördergelder dastehen, geht man in Moskau in die entgegengesetzte Richtung.

Stadtwappen von Moskau

Stadtwappen von Moskau

Dort wird zur Zeit diskutiert, was man tun kann, um besonders Neuankömmlinge daran zu erinnern, daß das Leben auch in der russischen Weltmetropole mit ihren gut 10 Millionen Einwohnern auf der russischen Kultur basiert. Eine der Ideen, die auch von der Russisch-Orthodoxen Kirche unterstützt wird, ist die Ausarbeitung eines sogenannten „Moskowiter-Codes“. Darin soll aufgezeigt werden, welche Verhaltensweisen in der Hauptstadt allgemein erwünscht sind und welche eben nicht.

„Moskau ist eine Stadt mit einem auf der russischen Kultur und jahrhundertealten Traditionen basierenden Lebensstil und alle das sollten alle wissen, die kommen, um hier zu leben. Wir sind sicher, daß diese wichtige Forderung ausnahmslos allen Einwohnern der Hauptstadt helfen wird, Moskowiter zu werden“, wird der Vorsitzende des Moskauer Stadtkomittees für Überregionale Beziehungen und Nationale Politik Mikhail Solomentsev in der Rossiyskaya Gazeta zitiert.

Seiner Auffassung nach gibt es gewisse ungeschriebene Regeln, die von den Einwohnern der Stadt befolgt werden sollten: „Daß man zum Beispiel keine Schafe im Hof tötet, nicht auf dem Balkon grillt, keine anderen Nationaltrachten in der Stadt trägt. Wir wollen kurzfristig einen Satz von Regeln ausarbeiten, die Neuankömmlingen, die sich dauerhaft als Bewohner in Moskau niederlassen, helfen sollen.“

Die Stadtbehörde hat nun vorgeschlagen, daß die Diaspora-Gemeinden mit dem Ausarbeiten der Regeln beginnen. Nachdem sie ihre Vorschläge eingereicht haben, werden Wissenschaftler damit beauftragt, die Arbeit so zu vollenden, daß sie in einer Art „Moskowiter-Codes“ mündet.

Vielleicht ist es heute noch zu früh, als daß man sagen könnte, ob sich die Einwanderer, von denen ein beträchtlicher Teil aus den ehemaligen Sowjetrepubliken kommt, auf diese Weise zu „Moskowitern“ machen lassen. Wirksamer als sogenannte „Dialoge“, bei denen sich Dialogexperten nur gegenseitig die „Alternativlosigkeit“ des Dialogs — und somit ihre eigene Wichtigkeit — bestätigen und ansonsten sorgsam darauf achten, daß alle kritischen Punkte ausgespart bleiben, dürfte dieses Vorgehen jedoch allemal sein.

„Die Indianer Amerikas werden vermutlich zur größten ethnischen Gruppe innerhalb der amerikanischen Orthodoxie werden“

Juni 2, 2010

Ein lesenswertes Interview mit Jonah, Erzbischof von Washington und Metropolit von ganz Amerika und Kanada, auf dem Blog der Edition Hagia Sophia.

Byzantine chant – Monastery Simonopetras (psalm 22)

Juni 2, 2010

Der Weg zum neuen Mittelalter

Juni 2, 2010

Nikolaus Berdjajew: Das neue Mittelalter (1927)

Als Fortsetzung zu dem Artikel über politischen Symbolismus ein Ausschnitt aus dem 1927 erschienen Buch „Das neue Mittelalter“ des russischen Philosophen Nikolaus Berdjajew (S. 31—32):

Die Grundfesten der Weltanschauung des XIX. Jahrhunderts stürzen, und deshalb stürzen auch die auf jener Weltanschauung begründeten Reiche und Kulturen in sich zusammen. Es stürzen die monarchistischen und demokratischen Staaten, die alle auf dem Boden des Humanismus begründet waren. Nicht die eine oder die andere Staatsform macht eine Krise durch, sondern der Staat als solcher. Es gibt keinen starken, dauernden Staat mehr. Kein Staat weiß, was ihm der nächste Tag bringt. Weder der Legitimismus der alten monarchistischen noch der Legitimismus der neuen demokratischen Staaten mit ihrer formalen Idee der Herrschaft des Volkes hat noch Macht über die Seelen der Menschen. Niemand glaubt mehr an irgendwelche juristische oder politische Formen, niemand hat auch nur das geringste für eine Verfassung gleich welcher Art übrig. Die reale Macht entscheidet alles. Lassalle hat recht mit seiner bemerkenswerten Rede über die Staatsverfassungen, in der er die These aufstellte, die Staaten seien nicht jurstisch, sondern sozial-biologisch begründet. Dies ist endgültig durch den Weltkrieg bewahrheitet worden, der die formale Rechtsidee restlos widerlegt hat. Nicht minder als der Kommunismus ist auch der italienische Faschismus ein Symptom der Krise und des Zusammenbruchs der alten Staaten. Im Faschismus sind nun ganz spontane soziale Neubildungen, die an die Stelle des alten Staates treten und die Regierung organisieren wollen. Die faschistische Freiwilligenarmee existiert neben der Armee des alten Staates, die Faschistenpolizei neben der staatlichen und übertrifft sie sogar an realer Bedeutung. Dies ist kein neuzeitliches Prinzip, sondern eher ein Prinzip des sterbenden römischen Imperiums und des beginnenden Mittelalters. Im politischen Leben des modernen Europa ist der Faschismus die einzige schöpferische Erscheinung, er gehört im selben Maße zum neuen Mittelalter wie der Kommunismus. Der Faschismus ist dem Prinzip eines formalen Legitimismus tief entgegengesetzt, er will nichts von ihm wissen, er ist eine unmittelbare Äußerung des Willens zum Leben und zur Macht, die Äußerung nicht eines Rechtes, sondern einer biologischen Kraft. Den Sturz des legitimen Machtprinzips, des Rechtsprinzips der Monarchien und Demokratien und deren Ersetzung durch das Prinzip der Kraft, der Lebensenergie spontaner sozialer Gruppen und Neubildungen — das möchte ich als das „neue Mittelalter“ bezeichnen. Der Faschismus weiß nicht, in wessen Namen er handelt, aber er geht bereits von den juristischen Formen des Lebens zum Leben selbst über. Ebenso hat auch die rationalistische Philosophie, der gnoseologisch begründete Legitimismus des Erkennens seine Macht über die Seelen der Menschen eingebüßt. Die Gnoseologie ist ja nichts anderes als Jurisprudenz auf dem Gebiet der Erkennntnis, Formalistik, Gesetzanbetung. Jetzt sucht jedes Denken eine Philosophie des Lebens und eine lebendige Philosophie, will zur Gegenständlichkeit übergehen. Das philosophische Denken weist auch eine Art von Faschismus auf, der sein „im Namen“ noch nicht kennt, und doch schon von der Form zum Inhalt, von der Frage der legitimierten Rechte des Erkennens zur Frage der unmittelbaren Lebens- und Seinserkenntnis übergeht.

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