Kirill Jermak: Offene Email an Chefredakteur der Welt

Mai-Krawalle in Berlin 2009

Mai-Krawalle in Berlin 2009

Die Welt schreibt heute in Linke lehnt Verantwortung für Mai-Krawalle ab:

Vor dem 1. Mai riefen Politiker der Linken zu sozialen Unruhen auf. Am Tag der Arbeit kam es dann in Berlin zu heftigen Ausschreitungen. Damit allerdings will die Linke nichts zu tun haben: Man lehne Gewalt grundsätzlich ab, sagt der Berliner Parteichef Lederer, und lasse sich nicht „in Mithaftung“ nehmen.

Daß Herr Lederer hier lügt, läßt sich belegen.

Hier meine offene Email an den Chefredakteur der Welt Oliver Michalsky:

Sehr geehrter Herr Michalsky,

als Weiterleitung eine Email, die ich vor kurzem aus dem Ema.Li-Newsletter gefischt habe. Sie belegt, daß es innerhalb der Partei „Die Linke“ allemal Personen gibt, die die von den Schwarzen Blöcken ausgehende Gewalt begrüßen.

Die entscheidenden Passagen sind:

„Und da kann es richtig sein, Unversöhnlichkeit zum Bestehenden im Ganzen zu markieren, auch wenn das symbolisch bleibt: in der Absicht auch, das andere an anderem Ort zu anderer Zeit sich daran erinnern.

Und hier ist es äußerst relevant, dass die radikale Linke gestern wie schon in Heiligendamm die stärksten Blöcke gestellt hat. Wer nach anderswo schauen will – es gäbe da Vieles – der sei jetzt einfach an Griechenland verwiesen.“

Diese Einordnung traf Thomas Seibert (Die Linke) als Antwort auf Peter Wahl (attac) im Rahmen einer inhaltlich-strategischen Nachbearbeitung der Randaledemonstrationen in Berlin („Wir zahlen nicht für Eure Krise!“) am letzten Märzwochenendes.

Im Kontext mit den bei der Partei „Die Linke“ diskutierten Hegemoniekonzeptionen muß man sogar davon sprechen, daß die Zusammenarbeit mit gewalttätigen Gruppen aus der linken Szene integraler Bestandteil des Politikkonzepts dieser Partei ist. Näheres dazu erfahren Sie unter

http://www.linksnet.de/de/artikel/21124

dieser Text wurde in einer Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Beitrag zur Strategiedebatte veröffentlicht. Die Gewaltoption firmiert dort unter dem Namen „Jakobinismus“ und ist integraler Bestandteil „des Fürsten“.

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie die Aussagen von Herrn Seibert mit Ihrer Berichterstattung öffentlich machen könnten. Als Quelle für die Informationen bitte ich Sie „eine attac-Mailingliste“ zu nennen, weil meine Quelle sonst womöglich versiegt und die Diskussion zwischen Herrn Wahl und Herrn Seibert lief ja tatsächlich über eine attac-Mailingliste.

Lassen Sie mich bitte auch wissen, falls Sie nicht darüber schreiben möchten. Ich würde mir dann eine andere Zeitung suchen.

Schöne Grüße,
XXX aus XXX

PS: Einen Blogartikel mit meinen Gedanken zu dem Themenkomplex finden Sie unter
https://antifo.wordpress.com/2009/04/18/kulturmarxistische-impressionen/

> ——– Original-Nachricht ——–
> Datum: Fri, 3 Apr 2009 13:46:37 +0200
> Von: Norbert Schepers <norbert@schepers.info>
> An: „Ema.Li Newsletter“ <emali@emanzipatorische-linke.de>
> Betreff: [EmaLi] attac-Debatte nach 28.3.
>
> Liebe Emanzipatorische Linke,
>
> anbei zwei Diskussionsbeiträge zu den Krisendemos vom vergangenen
> Wochenende aus einer attac-Liste.
> Der Genosse Thomas Seibert kommentiert eine Stellungnahme von Peter
> Wahl und bat mich ausdrücklich um Verbreitung in diesem Kreise.
>
> Alles Gute in Strasbourgh & drumzu wünscht Norbert
>
> —
> Emanzipatorische Linke
> „Freiheit und Sozialismus – Let’s make it real“
> Mail: info@ema.li • Web: www.ema.li
>
> Kontakt:
> Norbert Schepers
> Emanzipatorische Linke
> Weydingerstraße 14-16, 10178 Berlin, Germany
> Telefon: +49-30-24 00 96 36 (Mo. bis Do.)
> Mail: norbert@schepers.info
>
>
>
>
>
> Anfang der weitergeleiteten E-Mail:
>
>> Von: Thomas Seibert <seibert@medico.de>
>> Datum: 29. März 2009 23:38:40 MESZ
>> Betreff: attac-Debatte nach 28.3.
>>
>> Liebe alle, Peter Wahl hat auf den attac-Listen eine Diskussion
>> initiiert, der ich spontan geantwortet habe. Ich schick Euch jetzt
>> beide Beiträge – zur Verbreiterung der Diskussion. Thomas
>>
>>
>> Liebe alle,
>>
>> Ihr findet hier (noch einmal) ein mail von Peter Wahl, dass ich
>> wichtig finde, weil es aufruft, dass wir, glaub ich, an einem Punkt
>> sind, wo wir uns über die größte Neuerung verständigen können, die
>> der Linken dieser Epoche gelungen ist, über die es aber nach wie vor
>> erst Klarheit zu gewinnen gilt. Damit sind wir noch nicht am Ende,
>> das gilt natürlich auch von dieser Runde. Es geht also nur um
>> Zwischenbemerkungen, aber die sind wichtig. Deshalb antworte ich auf
>> völlig unpolemisch. Ich habe zu Peters mail drei eher taktische
>> Fragen betreffende Anmerkungen und eine grundsätzliche, strategisch
>> gemeinte. Ich beginne mit den taktisch genannten Anmerkungen. Da ich
>> möchte, dass seine Argumentation aufmerksam gelesen wird, häng ich
>> meine Überlegungen unten drunter ran.
>>
>> Liebe Leute,
>> hier ein paar spontane und unsystematische Eindrücke von den Demos
>> am 28. März.
>> die Demos waren notwendig. Es gab sie – soweit ich informiert bin –
>> in London, Berlin, Frankfurt, Paris, Wien, Innsbruck. Das Medienecho
>> war ziemlich gut und unterm Strich auch wohlwollend. Insofern ein
>> Erfolg.
>> Dennoch hier ein paar Punkte, die uns auch nachdenklich machen
>> sollten.
>>
>> 1. Zahlen
>> Es ist natürlich legitim, Teilnahmezahlen „politisch gestaltet“ nach
>> außen zu kommunizieren. Hab ich auch schon immer gemacht. Allerdings
>> ist es für eine solide Einschätzung der eigenen Kräfte sinnvoll,
>> nicht auf die eigene PR hereinzufallen.
>> Ich habe mich in Berlin, wie ich das seit zehn Jahren bei Demos tue,
>> zusammen mit einer zweiten Person an einer günstigen Stelle ca. 500
>> m vom Platz der Abschlusskundgebung gestellt, um möglichts exakt zu
>> zählen. Leider kamen wir dabei auf die gleiche Zahl wie die Polizei:
>> 15.000. Selbst wenn wir uns verzählt haben, auch der Augenschein bei
>> der Abschlusskundgebung bestätigt, es waren auf jeden Fall unter
>> 20.000.
>> Wie ich inzwischen von einem unabhängigen Zähler in Frankfurt hörte,
>> waren es auch dort max. 15.000 eher weniger.
>>
>> In London waren nach Angaben des Guardian 30.000 bei der Demo. BBC
>> sprach von Tausenden. Nach den Ankündigungen von britischen Kollegen
>> aus der NGO-Szene war die Erwartung entstanden, es würden 100.000
>> werden.
>> In Paris waren bei einer Aktion zu Steuerparadiesen vor der Börse
>> nach Angaben von Attac Frankreich 700 nach denen der Polizei 400
>> Personen gekommen. In Wien gabe es eine Demo mit 6.500, in Innsbruck
>> einen Spaziergang. Falls es andere Aktionen gab (Italien?) sind sie
>> medial nicht durchgedrungen.
>>
>> Alles in allem also Zahlen in Europa in der Größenordnung von
>> 80.000, jedenfalls unter 100.000. Bei uns realistisch max. 30.000
>> Berlin und Ffm zusammengenommen. Angesichts des Ausmaßes dieser
>> Krise und – in der Bundesrepublick – unserer beträchtlichen
>> Öffentlichkeitswirksamkeit der letzten Woche durch Kongress und
>> Zeit-Plagiat eigentlich zu wenig.
>>
>> 2. Zusammensetzung in Berlin
>> Die größten wahrnehmbaren Blöcke in Berlin waren:
>> a. die Szene, die sich selbst als linksradikal bezeichnet, auf
>> mehrere Blocks verteilt, schätzungsweise drei bis viertausend
>> Personen
>> b. Attac, ca. 3.000 Personen
>> c. Linkspartei, soweit erkennbar, ebenfalls ca. 3.000
>> d. Sichtbare Gewerkschaften, inbesondere Ver.di, einige GEW,
>> versprengte IG BCE, so gut wie keine IG Metall und kein DGB, alles
>> in allem vielleicht 2.000.
>> e. Bündnis Sozialproteste, ca. 1.000
>>
>> Ansonsten neben den üblichen Kleinstparteien vom Typ MLPD, SAV etc.
>> ein paar Fahnen der Grünen und einige NGOs.
>>
>> Interessant sind zwei Blöcke:
>> a. Gewerkschaften waren überraschend schwach vertreten. Offenbar hat
>> in Berlin – der Stuttgarter Verdi-Oppositionelle Riexinger ist hier
>> fern – die Basis sich weitgehend ferngehalten. Das steht auch im
>> Kontrast zur Demo gegen Agenda 2010 im November 2003, wo die
>> Gewerkschaftsbasis den größten Teil stellte. Offenbar spielt hier
>> die Orientierung der Gewerkschaftspitzen auf ihre eigenen Demos im
>> Mai doch eine Rolle.
>>
>> b. Die Linkspartei, über deren Mobilisierungsfähigkeit auf der
>> Straße wir seit Jahren rätseln, war – gemessen an ihrer Bedeutung in
>> Berlin und Umgebung – schwach vertreten. Und das, obwohl Gysi
>> sprach. Auch der Augenschein bei der Abschlusskundgebung zeigt, dass
>> das typische Linksparteipublikum unterrepräsentiert war. Die
>> massiven Versuche im Vorfeld, prominente Linksparteipolitker als
>> Redner mit dem Argument durchzusetzen, man mobilisiere schließlich
>> und wolle daher gleichberechtigt behandelt werden, verlieren damit
>> zusätzlich an Legitimität.
>>
>> 3. Kassandra ohne Massenbasis
>> Alles in allem zeigt sich, dass es nirgendwo gelungen ist, über die
>> engere globalsierungskritische und linke Szene hinaus, Menschen zu
>> mobilsieren. Obwohl unsere Einschätzungen zum Finazkapitalismus
>> zutrafen, hat sich das bisher nicht in einer neuen Qualität auf der
>> Straße umgesetzt. Darüber muss man nachdenken.
>>
>> 4. Ein paar Erklärungen
>> Es gibt die Standarderklärungen:
>> – die Krise ist bei viele Menschen noch nicht individuell erfahrbar
>> – die Regierungen scheinen die Lage im Griff zu haben
>> – die Rettungspakete haben das Schlimmste bisher verhindert
>> – viele vertrauen auf die Wahlen (EU und Bundestagswahlen)
>> – in der Krise wächst die Existenzangst und blockiert politisches
>> Engagement.
>>
>> An all dem ist sicher was dran. Aber es gibt sicher auch subjektive
>> Schwächen.
>> Dazu gehört:
>> – die mangelnde Bündnisbreite. Die Probleme zwischen Gewerkschaften
>> und Bewegungen, insbes. Attac hätten bei einer klugen
>> Bündnisdiplomatie zumindest minimiert werden können,
>> – ein antikapitalistisches Profil der Proteste verbaut den Weg in
>> den Mainstream der Gesellschaft,
>> – die parteipolitische Schlagseite zur Linkspartei ist eine
>> strategische Dummheit erster Güte, auch aus deren eigener
>> Interessenlage
>> – aus den Differenzierungen im herrschenden Block werden keine
>> Konsequenzen gezogen. „Die da oben“ werden als einzige reaktionäre
>> Masse gezeichnet. Als ob es zwischen Obama und Bush, zwischen Köhler
>> und Ackermann etc. keine Unterschiede gäbe! Das finden „normale“
>> Leute nicht sehr überzeugend. Und da haben sie recht.
>> – Greifbare und begreifbare Alternativen werden kaum artikuliert.
>>
>> Das sind ein paar Stichpunkte, die sich noch ergänzen und
>> ausdifferenzieren ließen.
>> Auf alle Fälle ist eine gründliche Diskusion über die weitere
>> Strategie nötig.
>>
>>
>> Gruß
>> Peter
>>
>> Taktisches, ad 1.)
>> Peter unterstellt (un)ausdrücklich, wir hätten Großdemonstrationen
>> mit „Massenzulauf“ erwartet, und er nennt dann m.E. ganz richtige
>> Gründe, warum der ausblieb. In meinen Zusammenhängen aber ist davon
>> niemand ausgegangen, und das z.T. aus genau den von Peter genannten
>> Gründen. Zu nennen wäre noch der Umstand, dass der Termin uns von
>> internationaler Seite aufgenötigt wurde, wir uns lieber eine
>> Konzentration auf das nächste Wochenende, die Proteste gegen das
>> NATO-Jubiläum, gewünscht hätte.
>> Von daher ging es doch eher um eine Selbstvergewisserung des
>> mobilisierungsfähigen Potenzials der entschiedenen Linken (moderater
>> wie radikaler Ausrichtung), gleichsam um die öffentliche
>> Bekanntmachung unserer Präsenz als solcher. Und da bin ich ganz
>> zufrieden, merke aber mit Peter an:
>>
>> a.) in der Absicht auf „Massenaktionen“ bleiben wir bis auf Weiteres
>> (eine für mich wichtige Anmerkung) vom Beitritt der Gewerkschaften
>> abhängig: keine Neuigkeit.
>>
>> b.) die Mobilisierungsschwäche der Linkspartei ist, das hält Peter
>> auch fest, eklatant. Wenn die Genoss/innen klug sind, neben sie sich
>> das ebenso sehr zu Herzen wie die Proteste gegen die Nominierung von
>> Lafontaine und Gysi: so wird man nicht „Partei an der Seite der
>> Bewegungen“. Was das sein kann, gilt es erst noch zu erfinden, und
>> meines Erachtens haben die traditionslinken Strömungen in der Partei
>> da die Nase nicht vorn – die rechte Strömung natürlich auch nicht.
>> Die französische NPA ist da interessanter, aber auch noch nicht der
>> Stein der Weis/innen.
>>
>> Taktisches, ad 2.)
>> Peter verliert außer der Nennung selbst kein Wort darüber, dass die
>> radikale Linke in beiden Demos wohl die stärksten Blöcke gestellt
>> hat. Ja: sie hat damit ihre Kapazität, anders wohl als alle anderen,
>> so gut wie ausgeschöpft. Aber: dies selbst – dass sie das konnte,
>> wieder im Unterschied zu allen anderen – spricht Bände. Das fällt
>> nicht nur, aber wesentlich, auf die IL zurück, eine der wichtigsten
>> Neuerungen der Epoche: ruft aber auch die Verantwortung auf, unter
>> der sie steht. Dazu mehr in der strategischen Überlegung.
>>
>> Taktisches, ad 3.)
>> Eine Anmerkung der Gerechtigkeit halber. Peter erwähnt die
>> „Miniparteien“ nur am Rande, nennt DKP und SDAJ gar nicht. Ja: aus
>> dieser Ecke wird zumindest in systematischer Form kein strategisch
>> relevanter Beitrag kommen, insoweit geht das in Ordnung. Doch er
>> übersieht, das deren Präsenz die unscheinbare Alltagspraxis
>> tausender Genoss/innen einschließt, auf die niemand verzichten kann:
>> in Betrieb und Gewerkschaften, an Arbeitsplätzen der
>> gesellschaftlichen Arbeit weiten Sinnes und anderswo, sogar in der
>> Linken selbst. Da von der zu lernen bleibt, sollten wir dem nicht
>> mit Verachtung begegnen: dies umso mehr, als auch attac wesentlich
>> von solcher politischen Subjektivität getragen wird. Und: es gibt
>> z.B. in der DKP strategische Überlegungen zum Verhältnis Partei/
>> Bewegung, die in Vielem weiter fortgeschritten sind als in der
>> Linkspartei. Vor Überraschungen ist niemand sicher: Grundsatz meiner
>> Überlegungen.
>>
>> Zum Strategischen.
>> ad 1.) Peters Überlegungen bringen, vorbehaltlich verschiedenster
>> Ergänzungen oder diverser möglicher Berichtigungen an der einen oder
>> anderen Stelle, auf den Punkt, was eine Linke strategisch denken
>> muss, die Geschichte als sukzessiv (d.h. in mehr oder minder
>> folgerichtigen Schritten) angelegten Prozess in langer Dauer denkt.
>> Der Ort dieser Überlegungen ist das Bestehende so wie es ist, wenn
>> unvordenkliche Brüche systematisch ausgeschlossen werden. Deshalb
>> denkt diese Linke im Grunde die Krise gar nicht als Krise (gr.
>> krisis,bedenkliche Lage, Unsicherheit, Zuspitzung, Not, Höhepunkt,
>> Wendepunkt, Entscheidung). Sie denkt sie vielmehr als
>> auszugleichenden Systemfehler, d.h. als Betriebsunfall, d.h. sie
>> denkt eine mögliche und notwendige Kurskorrektur. Links ist das
>> insoweit, als sie die Kurskorrektur nach dem in ihr angelegten –
>> sagen wir mal – emanzipatorischen Potenzial denkt. Deshalb
>> verdichten sich Peters Überlegungen einerseits in der Frage, was
>> jetzt breiter öffentlicher Diskurs werden kann, auch unter den
>> Leuten selbst, und andererseits im Bezug auf ein die Kurskorrektur
>> einschließlich ihres inneren emanzipatorischen Potenzials angehenden
>> Projekts. Ein solches deutet sich heute im „Obama“-Komplex an, d.h.
>> einerseits in dem, was in rechten wie linken Varianten als „New
>> Green Deal“ gedacht wird, andererseits in dem, was den Übergang vom
>> Imperialismus zum Empire wieder voranbringt, nach der Unterbrechung
>> durch Bush. Peters ganze strategische Aufmerksamkeit sucht die
>> Stellen, in denen sich ein solches Projekt hier anzeigt – ich
>> persönlich bin übrigens der Meinung (kann mich da schwer irren), das
>> es da weniger nach einer vergleichbar charismatischen Figur Ausschau
>> zu halten, als Merkel aufmerksam zu beobachten gilt. Er sucht nach
>> den Interventionsmöglichkeiten, die sich der Linken in einem solchen
>> an sich alles andere als linkem Projekt öffnen könnten. Daraus
>> leitet er noch seine kleinsten Bewegungen ab, das macht die
>> Bedeutung seiner Überlegungen für uns alle aus („ableiten“ ist die
>> falsche Vokabel). Die nahe liegendsten, immer wieder kehrenden:
>> seine Orientierung auf die Grünen, sein Horror nicht vor der
>> radikalen Linken überhaupt, sondern von dem, was er ihr im
>> schlimmeren Fall zutraut. Ich hab’ ne Weile gebraucht, bis ich
>> kapiert hab, dass die Grünen-Option der Punkt im attac-Protest gegen
>> die Lafontaine/Gysi-Orientierung war, eine Unaufmerksamkeit.
>>
>> ad 2.) Peter kann gar nicht denken (oder denkt nur im Verborgenen,
>> manchmal und für sich allein), was den Einsatz der radikalen Linken
>> ausmacht: den Bruch, d.h. die Krise selbst im Moment der
>> Entscheidung im Aufbruch der plötzlichen Kehre. Das ist, entgegen
>> dem Anschein, keine Sache nur des Augenblicks, sondern verlangt ein
>> ebenso langsames, geduldiges, auf Dauer angelegtes Handeln wie die
>> von ihm und der moderaten Linken verfolgte Option. Die muss sich im
>> Vielen von der der moderaten Linken gar nicht groß unterscheiden:
>> das gehört zu den Neuerungen der Linken, auch der radikalen, im 21.
>> Jahrhundert. Und da kann es richtig sein, Unversöhnlichkeit zum
>> Bestehenden im Ganzen zu markieren, auch wenn das symbolisch bleibt:
>> in der Absicht auch, das andere an anderem Ort zu anderer Zeit sich
>> daran erinnern. Weil diese Fähigkeit, Politik aus der Offenheit zum
>> möglichen Ereignis zu denken, ausgebildet, d.h. organisiert und
>> kommuniziert werden muss, gehört dazu, ich sagte es schon, eine
>> lange und geduldige Arbeit, die sich in vielem von der der moderaten
>> Linken gar nicht unterscheiden muss. Und hier ist es äußerst
>> relevant, dass die radikale Linke gestern wie schon in Heiligendamm
>> die stärksten Blöcke gestellt hat. Wer nach anderswo schauen will –
>> es gäbe da Vieles – der sei jetzt einfach an Griechenland verwiesen.
>>
>> ad 3.) Es gibt da, zwischen Peters Option bzw. der Option der
>> moderaten Linken, und der der radikalen Linken, eine nicht zu
>> beseitigende Unschärfe: es können alle Beteiligten, die moderaten,
>> dem Kalkül verpflichteten Genoss/innen, und die radikalen, dem
>> Ereignis verpflichteten Genoss/innen, schwere Fehler machen: die
>> geschichtlich gegebenen Möglichkeiten auf lange Sicht, vielleicht
>> für immer versieben. Deshalb haben die „Zwischengruppen“ aller
>> Zeiten (Linkssozialist/innen, „rechte“ Komunist/innen, Trotzkist/
>> innen, „Radikalreformist/innen“ etc. etc.) eine dritte, beiden
>> Optionen überlegene Option ausarbeiten wollen: eine, die dem Kalkül
>> wie der langen Dauer und dem Ereignis wie der Plötzlichkeit genügen
>> könnte. Ich glaube, diese Option gibt es nicht: jede/r muss sich für
>> die eine oder die andere entscheiden, und sei’s schlicht nach dem
>> eigenen Temperament. Damit bin ich beim wichtigsten Punkt.
>>
>> Ad 4.) Die wesentliche Neuerung der Linken dieser Epoche sind nicht
>> neue Versuche eines zwischengrüpplerischen „Dritten Wegs“, sondern
>> der Umstand
>>
>> 1.) dass viele Genoss/innen auf beiden Seiten begriffen haben, dass
>> zwischen moderater und radikaler Linken eine aufrichtige, möglichst
>> vertrauensvolle und verantwortliche Kommunikation gestiftet werden
>> muss.
>>
>> 2.) dass jede/r, egal wie er/sie sich entscheidet, für die ganze
>> Linke Sorge tragen muss: also zumindest versuchen muss, die jeweils
>> anderen mitzudenken, sich z.B. zu fragen, wer im Augenblick
>> vielleicht eher richtig liegen könnte.
>>
>> 3.) dass dieses kein subjektives Kunststück ist, sondern organisiert
>> werden muss: also seine Orte und Gelegenheiten braucht. Konkret
>> gesprochen: attac ist/war immer wieder ein solcher Ort, die IL ist
>> das, es gibt Leute, die in der Linkspartei solche Orte schaffen
>> wollen. Oder: Heiligendamm war eine solche Gelegenheit, der 28.3.
>> irgendwie auch. Natürlich gab’s so was immer schon: heute ist die
>> Klarheit darüber, glaub ich, eine andere, tiefere, deutlichere.
>>
>> Also.
>> Ich hab gestern in Frankfurt eher gemerkt, dass der „spirit“ dazu
>> gegeben ist, und mich hat mehr gar nicht interessiert: gibt’s den
>> noch, wie’s ihn in Heiligendamm gab? Ich glaub’ ja. Adelante,
>> companer@s, ein/e jede/r an ihrem Ort, andere Gelegenheiten zum
>> Austausch werden sich finden. Es gibt ein Interview mit Toni Negri,
>> das demnächst auch auf Deutsch erscheint. Darin sagt er, dass wir
>> „irgendwie“ in einer Zeit sind, die mit der des Jahres 1905
>> verglichen werden kann: nicht 1917, das ist klar, doch dem Ereignis
>> auch nicht ganz fern.
>>
>> Thomas
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> EmaLi mailing list
> EmaLi@emanzipatorische-linke.de
> http://idash.org/mailman/listinfo/emali

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2 Kommentare - “Kirill Jermak: Offene Email an Chefredakteur der Welt”

  1. linke Faschisten Says:

    Endlich auch einen „Kampf gegen links“ schalten

  2. antifo Says:

    Eine kurze Vorstellung Thomas Seiberts gibt es hier bei attac:

    Ich bin Thomas Seibert, lebe in Frankfurt und vertrete medico international im attac-Rat.

    medico ist eine sozialmedizinische und menschenrechtliche Hilfsorganisation, die 1968 gegründet wurde und seither Projekte von Partnerorganisationen in allen Kontinenten des globalen Südens unterstützt, momentan weltweit etwa 60. Die Besonderheit medicos und unserer Partnerorganisationen besteht darin, die eigene Arbeit eben nicht mit einem „humanitären“, sondern mit einem politischen Selbstverständnis zu unternehmen. Mit unseren Projekten wollen wir nicht „abfedern“, was globaler Kapitalismus und mehr oder minder maroder Staat anrichten, sondern im lokalen Experiment praktisch erproben, was ein anderes weltgesellschaftliches Entwicklungsmodell wäre. Weil ein solches alternatives Modell nicht von Hilfsorganisationen, sondern nur von sozialen Bewegungen und durch soziale Kämpfe und Kampagnen durchgesetzt werden kann, nehmen wir an beidem teil und sind deshalb u.a. Mitgliedsorganisation von attac. Die Arbeit im eigenen Land begreifen wir übrigens als der Projektarbeit im Globalen Süden gleichrangig – auch wenn dort natürlich der Großteil unseres Geldes hingeht (private Spenden und staatliche Mittel). Nähere Informationen unter http://www.medico.de. Jenseits meiner Arbeit bei medico bin ich Redakteur des Halbjahresmagazins Fantômas (www.akweb.de) und Aktivist der Interventionistischen Linken (IL).

    Er ist bei Medico International für den Bereich „Netzwerkarbeit“ zuständig:

    http://www.medico.de/wir/organigramm/


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